Soziale Verbände

Soziale Strukturen und Organisationsformen

Sozialverhalten beinhaltet alle Verhaltensweisen, die beim Umgang mit Artgenossen auftreten können. Beispiele für Verhaltenskategorien des Sozialverhaltens sind u. a. Kommunikation, aggressives und submissives Verhalten (agonistisches Verhalten), Revierverhalten, Territorialität, Balz, Brutpflege, Kooperation und Täuschung. Nicht alle Tierarten zeigen untereinander Sozialverhalten. Es gibt durchaus Tiere, die ihr ganzes Leben lang keine Beziehung zu ihren Artgenossen aufbauen: So hat man beobachtet, dass sowohl Seesterne als auch Seeigel ihre Keimzellen einfach ins Wasser entleeren. Allerdings muss diese Abgabe in irgendeiner Form synchronisiert sein, damit sich die Keimzellen auch finden. Man vermutet, das Tageslänge oder bzw. und Wassertemperatur Zeitgeber für diese Synchronisation sein können.

Die in vielen Lehrbüchern sehr verbreitete und häufig verwendete Klassifikation von Gruppen nach den Ursachen der räumlichen Nähe und der Unterscheidung zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern wird in der Praxis kaum genutzt, da diese Einteilung eine genaue Analyse der Mechanismen voraussetzt. Problematisch ist diese Einteilung, da sie oft verwendet wird, wenn die Analyse der Mechanismen noch gar nicht abgeschlossen ist. Folgende Klassifikationen werden dabei unterschieden:

Ohne Anziehung zwischen den Individuen:

Aggregation (anonym oder offen) an lokalen Ressourcen:
Tiere, die sich nicht sehr schnell bewegen und keine großen Entfernungen zurück legen, können infolge spezifischer ökologischer Bedingungen oder aber durch Zufall zusammen größere Ansammlungen bilden. Quallen z. B. bewegen sich in großen Schwärmen durch das Gewässer, in dem sie zur Welt kamen.

Mit Anziehung zwischen den Mitgliedern:

Anonyme Verbände:
Jeder hat im Herbst schon Vogelschwärme beobachtet, die sich auf ihre lange Reise in die Winterquartiere begeben. Die Vögel sammeln sich schon eine ganze Weile auf festgelegten Sammelplätzen bevor sie los fliegen, Tausende von Vögeln (z. B. Kraniche) die in nahezu präziser Formation die Reise in die wärmeren Gefilde antreten. Sie kennen sich nicht persönlich, eine Rangordnung scheint nicht zu existieren, jedes Individuum dieser Vogelart kann die Ansammlung begleiten. Dieser Vogelschwarm auf seinem Weg ins Winterquartier wird als anonymer, offener Verband bezeichnet. Jedes einzelne Tier ist somit besser vor den potenziellen Beutegreifern geschützt, denn dieser ist durch die große Anzahl der Individuen irritiert und daher nicht in der Lage gezielt ein einzelnes Tier anzugreifen.

Der Verband der Staaten bildenden Insekten, wie z. B. Ameisen, Termiten, Wespen oder Bienen wird als anonymer, geschlossener Verband bezeichnet. Es ist nicht geklärt, in wie weit sie sich persönlich kennen, mit hoher Wahrscheinlichkeit eher nicht. Sie sind aber sehr wohl dazu in der Lage die Angehörigen eines Volkes derselben Art zu erkennen. Von Bienen z. B. weiß man, dass sie sich am Geruch erkennen. Eine fremde Biene darf nicht in einen anderen Stock fliegen. Sie wird unverzüglich von den Wächtern dieses fremden Stockes angegriffen und getötet.

Individualisierte Verbände:

Neben dem anonymen Verband gibt es den individualisierten geschlossenen Verbände. Innerhalb dieses Verbandes kennen sich die Individuen untereinander persönlich, sie können die Mitglieder ihres Verbandes unterscheiden. Viele Säugetierarten und auch Vögel leben in individualisierten Verbänden. Im Wolfsrudel z. B. gibt es einen Rudelanführer und ein allen anderen Mitgliedern unterworfenes Tier. Eine Hackordnung bzw. Rangordnung existiert, die immer wieder ausgefochten wird. Neben der physischen Überlegenheit spielen aber auch Erfahrung, Geschicklichkeit und Alter eine entscheidende Rolle, um die Position des α-Tieres einzunehmen.

Aufgrund der oben beschriebenen Problematik ist die folgende Unterteilung/Klassifikation vermutlich die sinnvollere Variante:

Von einer Gruppe spricht man, wenn eine mobile Anzahl von Individuen einen geringeren Abstand zueinander einhält als zu anderen Individuen und untereinander auch anders als mit fremden Artgenossen umgeht. Alters- und Geschlechtszusammensetzung sowie die Anzahl der Mitglieder kann sehr unterschiedlich sein.

I.

Familiengruppen sind Gruppen, in denen Mutter, Vater oder beide Eltern mit ihrem Nachwuchs zusammen bleiben.

  • Mutterfamilie: Mutter und Kinder leben zusammen, z. B. Säuger
  • Vaterfamilie: Vater und Kinder leben zusammen, z. B. Stichling, viele Fische und Vögel.
  • Elternfamilie: Vater und Mutter leben mit Kindern zusammen, z. B. Gibbons, Gänse, Schakale, Singvögel.

II.

Fortpflanzungsgruppen (Paarungssysteme) im Tierreich

III.

Verbände aus weitgehend gleichartigen Individuen

  • Jungtiergruppen (z. B. bei Fischen)
  • Weibchengruppen (z. B. bei Antilopen)
  • Junggesellengruppen (z. B. Dscheladas, Geparden)

Der in Äthiopien vorkommende Dschelada (Theropithecus gelada) lebt in großen Herden mit bis zu 600 Tieren zusammen. Man spricht auch von einer sogenannten 3-Stufen-Gesellschaft: Eine Herde (3. Stufe) setzt sich aus mehreren Bands (2. Stufe) zusammen, deren Größe zwischen 30 bis 260 Tieren schwankt. Nahrungsplätze und Wasserstellen werden gemeinsam genutzt, die Tiere bilden eine ökologische Einheit. In der 1. Stufe findet man Ein-Männchen-viel-Weibchen-Gruppen (Harem), zusammenlebend mit Junggesellen-Clans, die sich an der Peripherie des Harems aufhalten und auch periphere Kontakte zu den Haremsmitgliedern pflegen.

IV.

Saisonal bedingte soziale Organisationsformen
Viele Singvogelarten verpaaren sich nur zur Fortpflanzungssaison, die übrige Zeit des Jahres leben sie in anonymen Schwärmen (Winterschwärme).

V.

Gruppenbezeichnung anhand der gemeinsam ausgeführten Verhaltensweisen: Wandergruppen, Fortpflanzungsgruppen, Jagdgruppen, Spielgruppen, Brutpaare, Überwinterungsgruppen

(In einer Population können auch verschiedene Gruppierungen gleichzeitig vorkommen.)

Vor- und Nachteile des Gruppenlebens

Für das einzelne Individuum haben soziale Strukturen Vorteile:
Es ist besser gegen Raubfeinde geschützt, da eine Gruppe von Tieren Feinde schneller erkennen, abwehren und verwirren kann. Das Individuum investiert daher weniger Zeit für die Flucht und für die Wachsamkeit Raubfeinden gegenüber. Auch der Nahrungserwerb kann in der Gruppe wirkungsvoller sein: Das Finden und Fangen der Beute in der Gruppe kann aufgrund der gemeinsamen Jagd um ein Vielfaches erfolgreicher sein. Viele Tiere finden in der Regel in kürzerer Zeit und mit weniger Aufwand bzw. Kosten eine Nahrungsquelle, die dann auch alle nutzen können. Außerdem bieten höher entwickelte soziale Strukturen zusätzlich einen gemeinsamen Schutz und eine gemeinsame Aufzucht der Nachkommen und verbessern somit die Möglichkeiten des Lernens durch Nachahmung voneinander.

Durch das Gruppenleben entstehen für die einzelnen Mitglieder aber nicht nur Vorteile bzw. Nutzen, sondern auch Nachteile bzw. Kosten:
Gruppenmitglieder konkurrieren um begrenzte Ressourcen, z. B. Nahrung, Nist- oder Schlafplatz, Reproduktionspartner. Das Infektionsrisiko durch die Übertragung von Parasiten oder ansteckenden Krankheiten ist in der Gruppe ebenfalls erhöht.

Ob Tiere unter den gegebenen ökologischen Bedingungen allein, in einer kleineren Gruppe oder aber in einem großen Verband zusammenleben, hängt von der Kosten-Nutzen-Bilanz ab.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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