Retroviren

Reverse Transkriptase Onkoviren

Die Begrifflichkeit RETRO (REverse TRanskriptase Onkoviren) lässt sich auch als Umkehrung des molekulargenetischen Dogmas interpretieren. Denn mit Ausnahme der Retroviren läuft bei allen anderen Organismen die Transkription ausschließlich in Richtung „DNA nach RNA“ ab.
Ein Retrovirus ist ein Virus, dessen Erbinformation (Genom) als RNA vorliegt. Wenn das Virus diese RNA in die zu befallende Zelle eingebracht hat, muss die RNA erst in das „Format“ der Erbinformation der Wirtszelle, Desoxyribonucleinsäure (DNA), umgewandelt werden. Dazu bringt das Virus ein Enzym mit, die reverse Transkriptase. Diese übersetzt die RNA des Virus zunächst in einen DNA-Strang, der nach Replikation desselben in das Genom der Wirtszelle eingebaut werden kann. Da dieser Prozess der reversen Transkription relativ ungenau verläuft, erfolgen häufig Mutationen der Viren. Diese ermöglichen wiederum eine schnelle Anpassung des Virus an antivirale Medikamente und damit eine schnelle Ausbildung von Resistenzen. Auch die bisher wenig erfolgreiche Entwicklung von Impfstoffen (z. B. gegen HIV – human immunodeficiency virus) lässt sich auf die hohe Wandelbarkeit der Retroviren zurückführen.

Bei den Retroviren handelt es sich um eine Familie der RNA-Viren mit einzelsträngigem RNA-Molekül und komplexer Innenstruktur (und als gereinigte Virionen mit nachweisbarer reverser Transkriptase). Momentan wird diese Familie in die sieben Gattungen: Alpharetrovirus, Betaretrovirus, Gammaretrovirus, Deltaretrovirus, Epsilonretrovirus, Lentivirus und Spumavirus eingeteilt. Die fünf erstgenannten Gattungen enthalten RNA-Tumorviren, die in ihren Wirten verschiedene Tumore, vor allem Sarkome und Leukämie, erzeugen. Spumaviren konnten bislang noch nicht mit bestimmten Erkrankungen in Verbindung gebracht werden. Zu den Lentiviren gehören Viren, die beim Menschen (HIV), bei Katzen (FeLV), bei Rindern (BIV), bei Affen (SIV) und bei Schafen (Visna/Maedi-Virus) Erkrankungen hervorrufen.

Struktur des Virus

Die Hülle der Retroviren (Envelope) entsteht aus der Zellmembran der Virus produzierenden Wirtszelle und enthält zusätzlich das virale Hüllprotein, das aus einem Transmembranprotein (TM) und einem an der Außenseite der Virushülle an das TM-Protein gekoppelten Oberflächenprotein (Surface) besteht. Letzteres interagiert spezifisch mit dem Virusrezeptor an der Oberfläche der Zielzelle und vermittelt die endocytotische Aufnahme. Die Lipoproteinhülle enthält ca. 8 nm lange Oberflächenfortsätze.
Im Inneren des Virus befinden sich neben dem dominierenden Capsid noch Matrixproteine und Proteasen. Innerhalb des Capsids sind die beiden RNA-Moleküle als genomischer Speicher sowie die Enzyme Reverse Transkriptase und Integrase lokalisiert. Außerdem verfügt das Virus über eigene tRNA Moleküle.
Der Durchmesser eines Retrovirus beträgt ca. 80-100 nm.

Aufbau des Genoms

Das Retrovirusgenom besteht aus 2 identischen einzelsträngigen Plusstrang-RNA-Molekülen, die am 5'-Ende eine Cap-Struktur haben und am 3'-Ende polyadenyliert sind, also die gleiche Struktur wie die prozessierte mRNA der Eukaryoten aufweisen. Die Länge variiert zwischen 7-11 kB. Bei den komplexeren Retroviren kommen zusätzlich zu den Genen gag (group-specific antigen), pro (Virion-Protease), pol (Reverse Transkriptase, Integrase) und env (Glykoproteine der Virushülle) noch Gene vor, die für regulatorische und akzessorische Proteine kodieren.

Besonderheiten des Genoms

  • Retroviren sind die einzigen Viren, die diploid angelegt sind.
  • Sie sind die einzigen RNA-Viren, die nur von den wirtseigenen Transkriptions-Enzymen übersetzt und neusynthetisiert werden.
  • Sie sind die einzigen Viren, die eine spezifische zelluläre RNA (tRNA) benötigen.
  • Sie sind die einzigen plusstrangorientierten Viren, bei denen das Genom nicht sofort als Matrize (mRNA) bei der Infektion benutzt werden kann.

Vermehrungsstrategie

Die Vermehrung der Retroviren findet in folgenden Schritten statt:
Adsorption (1): Zunächst heften sich Viruspartikel an Rezeptoren auf der Zelloberfläche des Wirts. Unmittelbar darauf kommt es zur Fusion von Virushülle und Plasma.

Infektion – Endocytose (2+3): Bei der Infektion verschmilzt die Hüllmembran des Virus mit der Plasmamembran der Zielzelle und der Kern des Capsids gelangt ins Cytoplasma.

Reverse Transkription (4): Im freigesetzten Nucleocapsid findet nun die Umwandlung der RNA in ein RNA/DNA-Hybrid und nachfolgend in die doppelsträngige Provirus-DNA durch die im Virion enthaltene Reverse Transkriptase statt. Als Primer dienen spezielle tRNAs. Die Provirus-DNA unterscheidet sich von der Virus-RNA durch lange Sequenzwiederholungen an beiden Molekülenden.

Integration (5): Die gebildete Provirus-DNA wird ins Genom der Wirtszelle integriert, wo sie für einen längeren Zeitraum inaktiv verbleiben kann. Für diesen Prozess ist die virale Integrase verantwortlich.

Transkription (6+7): Kommt es zur Virusvermehrung, wird zunächst der dem Virusgenom entsprechende DNA-Abschnitt durch Enzyme der Wirtszelle transkribiert. Dabei dient die integrierte Provirus-DNA als Vorlage zur Produktion von mRNAs und neuen Genom-RNAs durch die zelluläre RNA-Polymerase.

Translation und Verpackung (8+9): Es entstehen Polyproteine, die in die Plasmamembran integriert werden und aus denen durch proteolytische Spaltung reife Proteine entstehen. Das Zusammenfügen der Capside findet entweder an der Plasmamembran oder als intracytoplasmatische Partikel statt.

Reifung und Knospung – Exocytose (10): Die Freisetzung der neuen Viruspartikel erfolgt durch Knospung an der Plasmamembran. Mit der Abschnürung der neuen Viren ist der Zyklus beendet.

Vermehrungszyklus bei Retroviren

Vermehrungszyklus bei Retroviren

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