- Lexikon
- Biologie Abitur
- 2 Grundbausteine des Lebens
- 2.4 Zellen und Zellbestandteile
- 2.4.4 Procyten sind die Zellen der Prokaryoten
- Nanoarchaeum equitans (Archaea), das kleinste Lebewesen
Im Jahr 2002 entdeckten Mikrobiologen der Universität Regensburg in der Arbeitsgruppe um KARL STETTER in Proben von untermeerischen Vulkanen winzige Archaea (Archaäbakterien), denen sie den Namen Nanoarchaeum equitans (übersetzt etwa „Reitender Urzwerg“) gaben.
Die Probe wurde von einem U-Boot auf dem sogenannten „Kolbeinsey-Rücken“ nördlich von Island genommen. Bei diesem Rücken handelt es sich um die Fortsetzung des mittelatlantischen Rückens, der Zone, an der die nordamerikanische und die europäische Kontinentalplatte durch aufquellende Lava neu gebildet werden. Mitten in den dabei entstehenden heißen Wasserströmen lebt Nanoarchaeum.
Archaea oder die „alten“ Bakterien haben mit anderen Bakterien (Bacteria = Eubacteria) gemein, dass sie im Unterschied zu den Zellen höherer Organismen keinen Zellkern besitzen (Prokaryota), sondern sich die DNA nahezu frei in der Zelle bewegt. Im Unterschied zu den Bacteria jedoch gibt es zahlreiche genetische Unterschiede, sodass die Archäen einer eigenen Domäne des Lebens zugerechnet werden. Auch kommen unter ihnen zahlreiche Extremophile vor. Extremophile lieben extreme Bedingungen, sie sind z. B an hohe Salz- bzw. Säurekonzentrationen oder extreme Hitze bzw. Kälte so gut angepasst, dass sie unter normalen Bedingungen sterben bzw. nicht mehr wachsen können. Sie wachsen heute noch in Umgebungen, wie es sie vor mehreren Milliarden Jahren überall auf dem Planeten gab: in vulkanisch aktiven Zonen, heißen Schwefelquellen, konzentrierten Salzlösungen oder ätzenden Säurepfützen.
Die Nanoarchäen sind kugelig und haben einen Durchmesser von nur 400 nm. Sie sind damit nur wenig größer als die größten Viruspartikel (welche nicht zu den Lebewesen zählen) und kleiner als alle bisher bekannten freilebenden Prokaryota. Auch ihr Genom ist mit nur 490 000 Basenpaaren das kleinste bisher bekannte und es liegt sehr nah an der unteren Grenze, die man bei Lebewesen überhaupt für möglich hält. Mittlerweile ist erforscht, dass ihr Genom aus rund 560 Genen besteht. Noch kleiner sind nur die endoparasitischen, zu den Bakterien gehörenden Mycoplasmen (150–200 nm), deren Genom aber etwas größer ist.
Die thermophilen (wärmeliebenden) Nanoarchäen leben immer in enger Gemeinschaft mit einem anderen Archaeum, das sich ebenfalls durch hohe Hitzetoleranz (Temperaturoptimum um die 90 °C) auszeichnet. Der Name Nanoarchaeum equitans („Reitender Urzwerg“) deutet bereits auf seine besondere Lebensweise hin: Der kugelige Zwerg „reitet“ auf der Oberfläche des Archaeums Ignicoccus („Feuerkugel“). Die genauen Ursachen für dieses Zusammenleben werden derzeit noch erforscht. Erkenntnisse aus der Entschlüsselung des Genoms (Genomanalyse) sind, dass Nanoarchaeum equitans nicht alle benötigten Moleküle selber herstellen kann. Da Ignicoccus über solche Moleküle verfügt, wird vermutet, dass die enge Gemeinschaft zwischen den beiden Archaeen auf der Nutzung dieser Moleküle durch Nanoarchaeum equitans beruht. Ob es sich bei der Art der Beziehung tatsächlich um Parasitismus oder um eine Symbiose handelt, ist zurzeit noch nicht bekannt.
Über die Stoffwechselleistungen der Miniarchäen ist bisher noch wenig bekannt. Es ist jedoch klar, dass es sich dabei um eine sehr isoliert stehende Gruppe von Urlebewesen handelt, was vor allem aus der besonderen Struktur der rRNA (16 S rRNA) hervorgeht. Aufgrund dieser einzigartigen rRNA-Primärstruktur ist es den Wissenschaftlern möglich, sie in den universellen Stammbaum des Lebens einzuordnen. Dieser besteht aus drei großen Zweigen: erstens den Eukarya, dazu zählen alle höhere Organismen mit Zellkern, darunter der Mensch, zweitens den Bacteria und drittens den urtümlichen Archaea. Letztere wurden bislang in drei große Reiche unterteilt. Nach einer genauen Genomanalyse und den dabei erkannten genetischen Abweichungen des Nanoarchaeum equitans gegenüber anderen Archäen veranlassten die Mikrobiologen, sie einem neuen, vierten Reich innerhalb der Archäen zuzuordnen.
Die Wachstumsansprüche des „Reitenden Urzwergs“ – Temperaturen um 100 °C, Sauerstofffreiheit, Gegenwart von Schwefel und vulkanische Gase – decken sich mit den Gegebenheiten, wie sie auf der Urerde vor etwa 3,8 Milliarden Jahren geherrscht haben. Somit liegt die Vermutung nahe, dass Nanoarchaeum equitans eine recht primitive Lebensform darstellt, welche vielleicht sogar bereits in den Anfängen des Lebens auf unserer Erde existierte. In dem Fall würde der Prokaryot die Bedeutung eines lebenden Fossils haben. Inzwischen wächst der kleine Einzeller bei Temperaturen von rund 100 °C im Labor an der Universität Regensburg und wird ausgiebig untersucht. Von den weiteren Analysen erwarten die Regensburger Wissenschaftler wichtige Erkenntnisse über die genetische Minimalausstattung von Lebewesen.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
Ein Angebot von