- Lexikon
- Biologie Abitur
- 2 Grundbausteine des Lebens
- 2.4 Zellen und Zellbestandteile
- 2.4.1 Zellen sind die Grundbausteine der Lebewesen
- Entdeckungsgeschichte der Zelle
Der Erkenntnisprozess der Zellbiologie begann mit der fundamentalen Entdeckung von ROBERT HOOKE (1635-1703), der 1665 in seinem Werk „Micrographia“ erstmals Zellen des Flaschenkorks abbildete und den zellulären Aufbau verschiedener Pflanzenteile beschrieb. Für die in seinem zweilinsigen Mikroskop gesehenen Kämmerchen führte er den Begriff „cellulae“ (lat. singular: cellula = Kämmerchen) ein.
NEHEMIAH GREW (1641-1711) und MARCELLO MALPIGHI (1628-1694) vertieften in weitergehenden Untersuchungen die Kenntnisse über den Feinbau der Pflanzen. Ersterer prägte den Begriff „Gewebe“ für einen Verband vieler gleichartiger Zellen. Gegen Ausgang des 17. Jahrhunderts beobachtete ANTONI VAN LEEUWENHOEK (1632-1723) pro- und eukaryotische Einzeller, Blutkörperchen und Spermien unter dem Mikroskop. In der Folgezeit beschäftigten Forscher die Fragen nach Form und Größe der Zellen, nach ihrem Vorkommen und der Entstehung. Die Deutung der Ergebnisse und ihre Verallgemeinerungen spiegeln den jeweiligen Zeitgeist und die naturphilosophischen Ansichten wider. Bis zur allgemeinen Anerkennung der Zelle als Bau- und Funktionseinheit aller Lebewesen dauerte es jedoch noch bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts.
1825 entdeckte JOHANNES EVANGELISTA PURKINJE (1787-1869) den Zellkern im Vogelei, ca. zehn Jahre später prägte er den Begriff „Protoplasma“ für den von der Zellhülle eingeschlossenen Teil der Zelle.
MATTHIAS SCHLEIDEN (1804-1881) als Botaniker und THEODOR SCHWANN (1810-1882), der Zoologe, formulierten 1838/39 die grundlegende Erkenntnis, dass ausnahmslos alle Lebewesen aus Zellen bestehen. „Jede Hypothese, jede Induktion ist unbedingt zu verwerfen, welche nicht darauf abzielt, die an der Pflanze vorgehenden Prozesse als Resultat der an den einzelnen Zellen vor sich gehenden Veränderungen zu erklären“, schrieb SCHLEIDEN 1842. Mit dieser Zelltheorie werden auch die Diskussionen über die Bildung der Zellen generell und die Einordnung der generativen Zellen beigelegt. Schließlich werden Spermatozoen und Eizellen als Einzelzellen anerkannt und die Weiterentwicklung befruchteter Eizellen als Zellteilungsgeschehen eingeordnet.
„Alles Lebende aus dem Ei“ (CARL THEODOR VON SIEBOLD, 1845) und „Jede Zelle aus einer Zelle“ (RUDOLF VIRCHOW, 1855) sind fundamentale Schlussfolgerungen von großer Tragweite. Sie stehen für das Ende der Periode der Zelltheorie von SCHLEIDEN und SCHWANN.
Mit der 1863 von MAX JOHANN SIGISMUND SCHULTZE (1825-1874) gesetzten neuen Definition einer Zelle beginnt die Herausbildung einer eigenständigen Zellbiologie. SCHULTZE hatte formuliert: „Eine Zelle ist ein Klümpchen Plasma, in dessen Inneren ein Kern liegt.“ In diesem als Periode der „Plasmatheorie“ bezeichneten Zeitabschnitt widmeten sich Biologen, Mediziner und Chemiker vordergründig der strukturellen und chemischen Analyse des Protoplasmas.
1871 gelang JOHANN FRIEDRICH MIESCHER (1844-1895) die erste Isolierung von Nucleinsäuren aus Zellkernen von Leukozyten, er erkannte aber deren Bedeutung noch nicht.
Mit der Silbernitratfärbung, auch „Schwarze Reaktion“ genannt, gelang CAMILLO GOLGI (1843-1926) 1873 erstmals eine Anfärbung von Zellen und einigen Zellmembranen. Es war der Beginn der Entwicklung verschiedenster Färbetechniken, um Zellteile sichtbar zu machen.
Die Aufklärung der Zellstrukturen löste auch stets die Frage nach ihren Funktionen aus. Mehr und mehr erschien die Zelle im Licht der neuen Forschungen nicht nur als kleinste Bau- sondern auch als fein strukturierte Funktionseinheit der Lebewesen. Neben dem Phänomen der Protoplasmabewegung, den Baueigenheiten der Protozoenzelle und der chemischen Analyse von Inhaltsstoffen fanden der Zellkern und das Kernteilungsgeschehen besondere Aufmerksamkeit. Der Anatom WILHELM ROUX (1850-1924) schrieb 1883 in einer hypothetischen Erörterung, in der er Chromosomen noch als „Körner“ bezeichnete: „Die Kerntheilungsfiguren sind Mechanismen, welche es ermöglichen, den Kern nicht bloss seiner Masse sondern auch der Masse und Beschaffenheit seiner einzelnen Qualitäten nach zu theilen. Der wesentliche Kerntheilungsvorgang ist die Theilung der Mutterkörner; alle übrigen Vorgänge haben den Zweck, von den durch diese Theilung entstandenen Tochterkörnern desselben Mutterkorns immer je eines in das Centrum der einen, das andere in das Centrum der anderen Tochterzelle sicher überzuführen.“
OSKAR HERTWIG (1849-1922) beobachtete als Erster den Befruchtungsvorgang (Verschmelzung des männlichen und weiblichen Kerns) einer tierischen Eizelle (1875, am Seeigelei).
1884 beschrieb EDUARD ADOLF STRASBURGER (1844-1912) erstmals die Befruchtung von Pollenkern und Eizelle und wies die Kernteilung als Voraussetung für die Zellteilung nach.
Das Prinzip der Reduktionsteilung (Meiose) wurde von OSKAR HERTWIG (1849-1922) und AUGUST FRIEDRICH LEOPOLD WEISMANN (1834-1914) 1887 erkannt. Sie schufen damit die Grundlagen für das heutige Verständnis des Vererbungsvorgangs.
1888 beschrieb THEODOR BOVERI (1862-1915) erstmals das Centrosom. W. VON WALDEYER-HARTZ (1836-1921) prägte im gleichen Jahr den Begriff Chromosom für die bisher als Mutterkörner bekannten Strukturen, die bei der Zellteilung eukaryotischer Zellen auftreten. Er entdeckte, dass die Zellen des Nervensystems mit besonders langen Fortsätzen versehen sind und nannte diese Zellen Neurone.
CAMILLO GOLGI (1843-1926) entdeckte, aufgrund seiner selbst entwickelten Färbetechniken, den GOLGI-Apparat (1898).
Neue Hypothesen und entsprechende experimentelle Arbeiten förderten auch die Herausbildung einer anatomisch-strukturell orientierten Embryologie: „Somit ist in der Eizelle die Continuität der Kerngenerationen niemals unterbrochen. Es finden Kernumbildungen, aber keine Kernneubildungen statt.“ Mit solchen Erkenntnissen steuerte die Cytologie auf eine neue, in ihren Auswirkungen zunächst ungeahnte Richtung zu, die Cytogenetik.
1903 begründeten THEODOR BOVERI (1862-1915) und W. SUTTON mit ihrer Chromosomentheorie der Vererbung die Cytogenetik.
Die sich nach der Wiederentdeckung der mendelschen Vererbungsgesetze um 1900 vehement entwickelnde Genetik und die inzwischen etablierte Entwicklungsphysiologie fanden jedoch auf der zellulären Ebene noch wenig Niederschlag. Dennoch drängten sich Fragen nach den Vererbungsträgern auf.
1909 wurde für sie von WILHELM JOHANNSEN (1857-1927) die Bezeichnung „Gen“ eingeführt. Gleichzeitig ist in der Geschichte der Zellbiologie eine verstärkte Hinwendung zu chemischen Fragestellungen zu beobachten. Die Cytochemie entstand.
Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ist in besonderer Weise auch durch zahlreiche methodische Entwicklungen und eine verbesserte, spezialisierte Geräteausstattung in den Laboratorien gekennzeichnet. Die Optimierung der lichtmikroskopischen Verfahren, die Entwicklung der Elektronenmikroskopie , die Nutzung moderner physikalischer Strukturanalyseverfahren u. a. m. verliehen der Zellbiologie einen regelrechten Schub. Den Wissenschaftlern gelang es, in den Ultrastrukturbereich der Zelle vorzudringen, die chemische Natur der Zellinhaltsstoffe detailliert aufzuklären und die molekularen Steuer- und Regelmechanismen zu verstehen. Bemerkenswerte Entwicklungen dabei waren:
1925 | Das Grundkonzept einer bimolekularen Lipidschicht (Lipid-Bilayer) für die Zellmembran wurde von E. GORTER und F. GRENDEL erstellt. EDOUARD CHATTON prägte die Begriffe pro- und eukaryotische Zelle. |
1926 | Die Schaffung einer besseren Gerätetechnik und die Erarbeitung der analytischen Zentrifugation ging mit der Entwicklung der Ultrazentrifuge von THEODOR SVEDBERG (1884-1971) voran. |
1929 | K. LOHMANN gelang die erste Isolation von ATP (Adenosintriphosphat) aus den Froschmuskelzellen. |
1931 | Der Bau des ersten Elektronenmikroskops durch ERNST RUSKA (1906-1988) gelang im Jahre 1931 und dessen kommerzielle Verfügbarkeit war ab 1939 gesichert. |
1932 | Das Phasenkontrastmikroskop wurde von FREDERIK ZERNIKE (1888-1966) entwickelt, damit wurden in der Mikroskopie völlig neue Möglichkeiten zur Beobachtung lebender Objekte und folglich auch die Verfolgung von Abläufen in den Zellen eröffnet. |
1935 | Das von J. F. DANIELLI und H. DAVSON entwickelte Modell einer Biomembran (DANIELLI-DAVSON-Modell) nimmt an, dass Proteine als globuläre Partikel der Lipiddoppelschicht beidseitig aufgelagert sind. |
1937 | Aufklärung des Citronensäurezyklus (Citratzyklus), eines wichtigen Stoffwechselzyklus in der Zelle, durch HANS ADOLF KREBS (1900-1981) und FRANZ KNOOP (1875-1946). |
1939 | Sir ANDREW FIELDING HUXLEY (*1917) arbeitete besonders auf dem Gebiet der Erregungsleitung der Nerven (HODGKIN-HUXLEY-Zyklus) und wies zusammen mit ALAN LLOYD HODGKIN (1914-1998) an Riesenaxonen von Tintenfischen Aktionspotenziale und die Ionenselektivität der Nervenzellmembranen nach. |
1940 | ALBERT CLAUDE (1899-1983) erkannte die Zellfraktionierung und nutzte sie, um Zellen durch fraktionierte Zentrifugation in ihre Bestandteile aufzuteilen. Er entdeckte bei elektronenmikroskopischen Studien die Mikrosomen (ER) und Mitochondrien. |
1941 | Der amerikanische Biochemiker FRITZ LIPMANN (1899-1986) klärte die Rolle von ATP (Adenosintriphosphat) als Energieüberträger der Zelle auf. |
1944 | Die DNA wurde als Träger der Erbinformation durch OSWALD THEODORE AVERY (1877-1955) erkannt. |
1949 | KENNETH COLE (1900-1984) entwickelte die Methode der Spannungsklemme (voltage-clamp). Mit ihr kann man die Veränderung der Membranleitfähigkeit für einzelne Ionenarten bei verschiedenen Membranpotenzialen messen. LING und GERARD entwickelten verlässliche spitze Glasmikroelektroden für intrazelluläre Ableitungen (Spitzen-Durchmesser 0,5 µm oder weniger). |
1950 | E. P. KENNEDY und ALBERT L. LEHNINGER (1917-1986) erkannten die Mitochondrien als Kompartiment der Zelle, in dem Citratzyklus, oxidativer Fettsäureabbau und oxidative Phosphorylierung ablaufen. |
1953 | Die Entdeckung der Doppelhelix-Struktur der DNA durch JAMES DEWEY WATSON (*1928) und FRANCIS HARRY COMPTON CRICK (1916-2004) gilt als Geburtsstunde der Molekularbiologie. Die Ribosomen wurden von G. E. PALADE (*1912) erstmals beschrieben und später erkannte er sie als Ort der Proteinbiosynthese in der Zelle. |
1955 | Die Differenzial-Interferenzkontrast-Mikroskopie wurde von G. NOMARSKI entwickelt. CHRISTIAN RENÉ DUVE (*1917) entdeckte die Lysosomen. |
1957 | MELVIN CALVIN (1911-1997) klärte den CALVIN-Zyklus (Teil des Verlaufs der Fotosynthese) auf. |
1961 | Erklärung der Stoffwechselregulation auf molekularer Ebene mit dem Operon-Modell durch JAQUES MONOD (1910-1976). M. W. NIERENBERG (1927-2010), H. G. KHORANA (* 1922) und S. OCHA (1905-1993) entschlüsselten den Mechanismus der Weitergabe der genetischen Information. |
1963 | KEITH PORTER (1912-1997) und seine Mitarbeiter beschrieben erstmals das Grundskelett des Cytoplasmas. |
1970 | Pro- und Eukaryoten wurden von R. Y. STANIER (1916-1982) in getrennte Organismenreiche eingeteilt. |
1972 | S. J. SINGER und G. L. NICOLSON entwickelten das Fluid-Mosaic-Modell der Zellmembran, wobei angenommen wird, dass Proteinpartikel nicht nur auf den Lipidschichten aufgelagert sind sondern diese sogar durchdringen und darin „schwimmen“. |
1975 | Mitte der 70er-Jahre erfolgte die Entwicklung von Methoden zur DNA-Sequenzierung von A. MAXAM, WALTER GILBERT (*1932) und FREDERICK SANGER (*1918). |
1976 | Die patch-clamp-Technik wurde von ERWIN NEHER (* 1944) und BERT SAKMANN (*1942) entwickelt, mit der sich kleinste Ströme in Ionenkanälen von Zellmembranen messen lassen. |
1977 | C. R. WOESE erkannte die Sonderstellung der Archaebakterien, die als Einzeller weder zu den Eukaryoten noch zu den Bakterien gehören. |
1982 | S. B. PRUSINER (*1942) entwickelte die Prionen-Hypothese. Bei seinen Forschungen auf der Grundlage der „protein only“-Hypothese, die in den 1960er-Jahren von der Strahlenbiologin T. ALPER und dem Physiker J. S. GRIFFITH bei Untersuchungen zur Schafkrankheit Scrapie (Traberkrankheit) formuliert wurde, prägte PRUSINER den Begriff Prionen für die infektiösen Proteinpartikel. Ein Protein als Krankheitserreger ist ein neues Prinzip in der Pathogenese von Krankheiten. Die Annahme, dass Prion-Proteine keine DNA enthalten, widerspricht dem bisherigen „Dogma“, nach dem sich infektiöse Erreger nicht ohne genetisches Material (DNA/RNA) vermehren können. Prionen wurden als wahrscheinliche Ursache für die übertragbare Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, BSE und andere Krankheiten beschrieben. Für seine Forschungen auf diesem Gebiet erhielt PRUSINER 1997 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. |
1989 | Start des Human Genome Project – bis 2004 soll das menschliche Genom vollständig sequenziert werden. |
1997 | Die erste Klonierung von Säugetieren unter Verwendung ausdifferenzierter somatischer Zellen wurde an Schafen durchgeführt (Schaf „DOLLY“). |
1999 | Strukturaufklärung großer Proteinkomplexe, z. B. des Ribosoms. |
2003 | Im Rahmen des Human Genome Project gelang die vollständige Sequenzierung des menschlichen Genoms. |
2009 | Es gibt bahnbrechende Arbeiten auf dem Gebiet der transgenene Tiermodelle und des therapeutischen Klonens durch eine Reihe von Wissenschaftlern. |
Die großen Fortschritte der Zellbiologie haben ihre Bedeutung für Grundlagenforschung und angewandte Forschung immer weiter ansteigen lassen. Die Behandlung und Heilung von bösartigen Tumoren, die Zurückdrängung bekannter und das Fertigwerden mit neuen Infektionskrankheiten, die Vermeidung von Erbleiden, der Einsatz der Gen- und Zelltherapie, die Anwendung moderner Züchtungsmethoden, industriemäßige Produktionsprozesse auf der Basis biotechnologischer Verfahren – das sind nur einige Problemfelder und Arbeitsgebiete, die zellbiologische Forschungsergebnisse nutzen und ohne sie nicht auskommen. Die Tiefe der Erkenntnis hat zu einst unvorstellbaren Möglichkeiten des Eingriffs in biologische Prozesse geführt. Somit ist die gesellschaftliche Relevanz der Zellbiologie stark gewachsen. Zellbiologische Ergebnisse und deren praktische Nutzung werden deshalb aus ethischer, moralischer und philosophischer Sicht auch aufmerksam verfolgt, oft skeptisch betrachtet und gelegentlich kontrovers diskutiert.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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