- Lexikon
- Biologie Abitur
- 6 Fortpflanzung, Wachstum und Entwicklung
- 6.3 Steuerung der Entwicklung bei Pflanzen und Tieren
- 6.3.2 Pflanzen entwickeln sich aus Meristemen
- Eigenschaften und Geschichte der Kartoffelpflanze
Die Kartoffelpflanze (Solanum tuberosum) ist die wichtigste Art aus der Gattung der in Südamerika beheimateten Nachtschattengewächse (Solanaceae), zu denen auch die Tomaten, der Tabak, die Paprikaschoten und die Chillis gehören. Die Heimat der Kartoffel sind die Hochlagen der Anden. Die krautige Kartoffelpflanze mit kantigen Stängeln trägt unterbrochen gefiederte Blätter und weiße oder violette Blüten, aus denen sich grüne, kirschgroße Beerenfrüchte entwickeln, die das Alkaloid Solanin enthalten und deswegen ziemlich giftig sind. (Alkaloide sind Pflanzeninhaltsstoffe, die in geringsten Mengen bei Tieren und Menschen physiologisch hochaktiv wirken – meistens als Gift oder als Rauschgift – und dadurch Fressfeinde abhalten.)
Die unterirdischen Ausläufer der Kartoffeln bilden Knollen, die Reservestoffe speichern – die eigentlichen Kartoffeln. Die Kartoffeln sind in der Natur mehrjährige Pflanzen, in Kultur werden sie einjährig gehalten. Aus dem Speicherorgan (der Kartoffelknolle) bilden sich an den Augen neue Sprosse, sodass sich die Pflanze vegetativ vermehren lässt. Beim Kartoffelanbau werden die Samen normalerweise nur zu Zuchtzwecken verwendet, die Vermehrung erfolgt vegetativ (man steckt Kartoffelknollen in die Erde, lässt sie austreiben, neue Pflanzen und vor allem neue Kartoffelknollen bilden).
Die südamerikanischen Kartoffelarten (Subspezies) sind frostresistent, im Gegensatz zu den bei uns kultivierten Sorten. Die Kartoffeln benötigen kühl-gemäßigtes Klima und vertragen keine Staunässe. Durchlässige, sandig-lehmige Böden sind zu ihrer Kultur optimal geeignet. Hohe Temperaturen und lange Sonnenscheindauer sind eher schädlich. Die Kartoffeln werden in Deutschland nach dem Abklingen der Nachtfröste ab März oder April in Reihen ausgelegt und später, nach dem Keimen, mit Erde überhäuft. Nach fünf Monaten haben die neu entwickelten Kartoffelknollen ihren maximalen Stärkegehalt erreicht und werden maschinell geerntet. Man unterscheidet hierbei zwischen Früh-, Mittel- und Spätkartoffeln.
Kartoffeln liefern pro Flächeneinheit fast so viel Protein wie Getreide und die doppelte Menge an Kohlenhydraten. Die Kartoffelproteine enthalten viele für den Menschen essenzielle Aminosäuren und sind deswegen besonders wertvoll. Außerdem enthalten Kartoffeln Fette, Zucker, Spurenelemente und mehrere Vitamine, unter denen das Vitamin C dominiert. Diese Zusammensetzung macht die Kartoffeln zu einem idealen Hauptnahrungsmittel.
Die Kartoffelkrankheiten kamen erst lange nach der Einführung der Kartoffeln nach Europa. Dies lag wohl hauptsächlich daran, dass es erst im 18. Jahrhundert große Kartoffelmonokulturen gab, in denen sich die eingeschleppten südamerikanischen Erreger verbreiten konnten. Die erste Krankheit, die in den 50er-Jahren des 18. Jahrhunderts Europa erreichte, war die Trockenfäule. Der Pilz Fusarium caeruleum befällt hierbei eingelagerte Kartoffeln und lässt sie austrocknen, schrumpfen und zu einer holzigen, ungenießbaren Masse werden.
Von der Kräuselkrankheit wird erstmals in den 70er-Jahren des 18. Jahrhunderts berichtet. Dabei handelt es sich um eine Viruserkrankung, die durch Blattläuse übertragen wird. Der Virus verlangsamt das Wachstum der Kartoffelpflanzen um bis zu 70 %. Der Schimmelpilz Botrytis cinerea ist für die 1795 in Irland erstmals entdeckte Kartoffelkrankheit verantwortlich, die die Pflanze mit einem blaugrauen Geflecht überzieht und sie schrumpfen und austrocknen lässt.
Die Schwarzfäule tauchte 1833 zum ersten Mal auf. Ihr Erreger befällt die ganze Pflanze: Im Juli werden die Blätter gelb und die Stängel schwarz, später folgt der Verfall der Knolle. Eingelagerte befallene Knollen können gesunde Kartoffeln anstecken. Im Juni 1845 kam eine weitere Kartoffelkrankheit auf der Isle of Wight auf: die Braunfäule (oder der Brand). Noch vor dem 1. August hatte sich diese von dem Pilz Phytophtora infestans hervorgerufene Krankheit über ganz Europa verbreitet. Die Krankheit zeigt sich zuerst durch einige braun gewordene Pflanzen. Innerhalb von einer Woche ist dann das ganze Feld betroffen, und in der zweiten Woche werden die Pflanzen schwarz und beginnen übel zu riechen.
Neben diesen durch Mikroorganismen verbreiteten Krankheiten gibt es auch noch sichtbare Schädlinge, wie beispielsweise den Kartoffelkäfer (auch Coloradokäfer genannt, Leptinotarsa decemlinea). Dieser gelbe Käfer mit 10 schwarzen Längsstreifen auf den Flügeldecken wurde 1877 aus Nordamerika (Colorado) nach Europa eingeschleppt. Larve und Käfer können ganze Kartoffelfelder völlig kahl fressen.
Ursprünglich stammen die Kartoffelpflanzen aus dem Hochland der Anden in Südamerika. Bei den Indianern der Nazca- und Mochekultur waren kultivierte Formen der Kartoffel die Hauptnahrungsquelle. Als die spanischen Eroberer 1526 unter Pizarro in die Anden eindrangen, trafen sie dort auf das Reich der Inkas, die in den Tieflagen Mais und oberhalb von ca. 2 500 m Kartoffeln als Nahrungsmittel anbauten. Die Spanier nannten die Kartoffelknollen papas (nach der Bezeichnung in der Quecknasprache) und forderten sie als Tributzahlungen von den Indios zur Ernährung der Truppe.
Um 1555 gelangten die ersten Kartoffeln nach Spanien und verbreiteten sich über die Kanarischen Inseln und England über ganz Europa, wo sie zunächst als exotische Zier- und Heilpflanze angebaut wurden. Die älteste europäische Beschreibung der Pflanze stammt von J. T. TABERNAEMONTANUS (1522-1590) und wurde 1585 verfasst. Der englische Name der Kartoffel, potatoe, leitet sich vom spanischen Namen der Süßkartoffel, batata (Ipomoea batatas, zur Gattung Convolvulaceae gehörig), ab, die mit den Kartoffeln wenig gemein hat, aber etwas früher nach Europa gelangte und deren Name irrtümlich auf die eigentliche Kartoffel übertragen wurde. Die Italiener nannten die neue Frucht zuerst ebenfalls versehentlich tartuffolo, was nichts anderes als Trüffel bedeutet (dieser sprachliche Irrtum verschwand recht bald, und heute heißen Kartoffeln im Italienischen patate). Das deutsche Wort Kartoffel stammt von dieser alten italienischen Bezeichnung ab. In Frankreich werden die Kartoffeln pommes de terre genannt, Äpfel der Erde. Ähnliche Ausdrücke gibt es auch im Deutschen: Erdäpfel, Grundbirnen, oder pfälzisch Grumbeere sind Beispiele hierfür.
In Kontinentaleuropa und England konnten sich die Kartoffeln nur langsam als Nahrungsmittel durchsetzen (die ersten Kartoffelfelder in Deutschland entstanden in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts in der Pfalz), doch in Irland waren sie schon kurz nach ihrer Einführung nach Europa das Hauptnahrungsmittel der einfachen Bevölkerung geworden. Die ersten in Westirland angepflanzten Kartoffeln stammten wahrscheinlich aus den Wracks der spanischen Armada und waren 1588 an die Küste angespült worden. Irland wurde zu dieser Zeit von den Engländern in Besitz genommen. Die von ihrem Land vertriebenen, bettelarmen irischen Bauern konnten nur in wenig fruchtbare, meistens sumpfige oder morastige Gegenden ausweichen, sie mussten „in die Hölle oder nach Connaught“, der am wenigsten fruchtbaren der vier irischen Provinzen. Getreide ließ sich dort nicht anbauen, und so kam die Kartoffel gerade recht, um den Hunger zu stillen.
Die Kartoffel war ursprünglich in großen Höhen zu Hause und an karge Böden, niedrige Temperaturen und an ein trockenes Klima gewöhnt. Für die nährstoffarmen Böden ist sie dadurch viel besser geeignet als Getreide. Werkzeuge braucht man für ihren Anbau kaum, notfalls reichen die Hände für Anbau und Ernte. Auch die aufwendige Weiterverarbeitung des Getreides (Dreschen, Mahlen, Backen) entfällt, ein Topf und Torffeuer reichen aus. Die Jahre zwischen 1640 und 1660, als der Puritaner OLIVER CROMWELL (1599-1658) versuchte, die ganze irische Nation durch direkten Mord oder durch Wegnahme ihrer Nahrungsreserven (Viehherden) auszulöschen, überlebten die Iren nur mithilfe ihrer Kartoffelbeete. Wie viele damals umkamen, lässt sich nicht mehr genau sagen, es könnte sich aber um fast die Hälfte der Bevölkerung gehandelt haben.
Kartoffelmissernten hatten jeweils Hungersnöte zur Folge. Und die Jahre mit Missernten wurden häufiger, da sich Kartoffelkrankheiten ausbreiteten. 1845 kam es zu einer Katastrophe ungeahnten Ausmaßes. Die Braunfäule vernichtete fast die gesamte Ernte. Ungefähr 1 Million Iren starben direkt an Hunger oder an den Folgeerscheinungen. 1,5 Millionen Iren verließen ihre Heimat und starteten damit eine Auswanderungswelle, die bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs 5,5 Millionen Iren vor allem in die nördlichen Staaten der USA bringen sollte.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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