- Lexikon
- Biologie Abitur
- 2 Grundbausteine des Lebens
- 2.3 Makromoleküle der Anfang der Vielfalt
- 2.3.1 Proteine sind die vielgestaltigsten Makromoleküle
- Die rätselhafte Krankheit von Guam
Guam ist eine kleine Pazifik-Insel zwischen den Philippinen und Hawai, die sich im Besitz der USA befindet. Ungewöhnlich viele Bewohner dieses kleinen Südsee-Eilands sterben an einer mysteriösen Nervenkrankheit mit Symptomen von Amyotropher Lateralsklerose, Parkinson-Syndrom und Alzheimerscher Krankheit, dem sogenannten „Guam-ALS-PD-Demenzkomplex“ (ALS/PDC). Lange blieben die Ursachen im Dunkeln und waren umso geheimnisvoller, als ausgewanderte ehemalige Inselbewohner oft Jahre nach dem sie die Insel verlassen hatten, erkranken konnten.
Erst in den letzten Jahren haben sich die seltsamen Zusammenhänge aufgeklärt: Auf der Insel gedeiht die Cycadee Cycas micronesica. Ihre essbaren Samen enthalten in geringen Mengen die giftige Aminosäurevariante (BMAA). Allerdings sind die Konzentrationen so gering, dass man sich eine gefährliche Auswirkung bei dem Verzehr der Samen zunächst nicht vorstellen konnte. Nun ist es aber so, dass sich von diesen Samen vor allem Flughunde (Pteropus mariannus) ernähren, die bei den Einheimischen als Leckerbissen gelten. In den Flughunden, so stellte man fest, tritt diese gefährliche Aminosäure in höheren Konzentrationen auf. Es kommt also zu einer Anreicherung. Und ähnliche Anreicherungen konnte man auch in den Geweben von verstorbenen ALS/PDC-Patienten feststellen.
Weitere Nachforschungen ergaben, dass diese seltene und von Eukaryoten nicht produzierbare Aminosäure von den endosymbiontischen Cyanobakterien von Cycas micronesica stammt. Denn wie alle Palmblatt-Nacktsamer beherbergt diese Cycadee solche, den Luftstickstoff fixierenden Symbionten (Cyanobacterien der Gattung Nostoc) in besonderen, an der Bodenoberfläche gebildeten, korallenartig verzweigten Wurzeln.
Damit ist die Kette der Giftweitergabe (Cyanobakterium – Palmfarn – Flughund – Mensch) aufgeklärt. Doch, wie kommt es zur Anreicherung? Bei der Verdauung werden alle Eiweiße in Aminosäuren gespalten und als solche resorbiert. Später werden sie jedoch wieder in Proteine eingebaut. Dies gilt auch für abnorme Aminosäuren, sie können in „normale“ Körperproteine eingebaut werden. Dies trifft offensichtlich auch für BMAA zu. In Proteinen ist BMAA ungefährlich. Lediglich, wenn es frei im Blut und in Körperflüssigkeiten vorkommt, kann es zu der beschriebenen Nervenkrankheit kommen. Der Gehalt in den Körperproteinen, insbesondere im Gehirn, nimmt allmählich zu. Offensichtlich steigt parallel dazu der BMAA-Pegel im Blut immer mehr an. Dies lässt sich mit dem ständig stattfindenden Proteinumsatz im Organismus erklären. Bei einem entsprechend hohen BMAA-Depot kommt es dann – oft erst nach vielen Jahren – zu der Erkrankung.
Über den Wirkungsmechanismus von BMAA weiß man bisher noch wenig. Möglicherweise wirkt es antagonistisch zu einigen Neurotransmitter-Rezeptoren. Es wäre auch denkbar, dass seine Affinität zu Metallionen mit seiner krankmachenden Wirkung zusammenhängt.
Mittlerweile vermutet man, dass auch andere Krankheiten, deren Ursachen bisher nicht erkannt wurden, auf versteckte, giftige Aminosäuren in Proteinen zurückgehen könnten. Denn auch andere Prokaryoten – z. B. Darmbewohner oder weitere mit höheren Pflanzen symbiontisch lebende Bakterien – enthalten ungewöhnliche und möglicherweise giftige Aminosäuren.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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