Auf Grund des Umfangreichtums, der Komplexität und immer engeren Verflechtung wissenschaftlicher Teilgebiete erfolgt an dieser Stelle keine vollständige Aufzählung aller derzeit existierenden Brückendisziplinen der Biologie. Letztlich sind alle Forschungen an Lebewesen mehr oder weniger mit allen Natur- und Geisteswissenschaften verknüpft, die Benennung der einzelnen Disziplinen richtet sich nach den Inhalten und Methoden der Forschungen, welche sich ständig ausweiten und weiterentwickeln.
Nach der wissenschaftlichen Fundierung der Chemie am Ende des 18. Jh. begann sich sehr schnell die Brückendisziplin Biochemie zu entwickeln, die ursprünglich mit den Methoden der Chemie die Zusammensetzung und Funktion von Lebewesen bzw. Teilen derselben untersuchte und deshalb auch als physiologische Chemie bezeichnet wurde. Eingeführt wurde der Begriff Biochemie durch VINZENZ KLETZINSKY (1826–1882) in seinem Lehrbuch „Compendium der Biochemie“ (Wien 1858). Zunächst war die Biochemie weitgehend identisch mit der Naturstoffchemie und der organischen Chemie, später rückten Stoffwechselvorgänge in den Blickpunkt des Interesses. Dabei wurde die Enzymchemie ein zentrales Thema.
In Deutschland war die Universität Tübingen ein Zentrum früher biochemischer Forschungen. Hier analysierte anfang des 19. Jh. GEORG CARL LUDWIG SIGWART (1784–1864) Gallen- und Harnsteine und die Proteine des Blutserums. JULIUS EUGEN SCHLOSSBERGER (1819–1860) isolierte das Kreatin aus dem Muskelfleisch eines Alligators. Er analysierte rachitische Knochen und wies den Iodgehalt von Korallen und das Kupfer im Hämocyanin nach. Sein Nachfolger FELIX HOPPE-SEYLER (1825–1895) intensivierte die chemisch-physiologischen Untersuchungen. Unter anderem erforschte er den Mechanismus der Muskelkontraktion, er befasste sich mit der Totenstarre, mit Oxidations- und Reduktionsfermenten und dem Hämoglobin. Auch FRIEDRICH MIESCHERs (1844–1895) Entdeckung der Nucleinsäuren gelang 1869 in seinem Labor. Der Tübinger Chemieprofessor EDUARD BUCHNER (1860–1917) entdeckte 1896 die zellfreie Gärung und wurde dafür 1907 mit dem Nobelpreis geehrt. GÜNTHER WEITZEL (1915–1984), seit 1957 Professor in Tübingen, begründete dort 1962 den ersten Diplomstudiengang Biochemie in Deutschland.
Die Haupt-Forschungsgebiete der Biochemie sind:
Besonders wichtige Stoffgruppen für die Biochemie sind Nucleinsäuren, Proteine, Lipide und Kohlenhydrate.
Auch die Biophysik hat eine lange Geschichte, die bis in die Renaissance zurückreicht. So stellte LEONARDO DA VINCI viele biomechanische Überlegungen an und nutzte sie für Erklärungen von Bewegungsabläufen (Biomechanik) und für Entwürfe zu technischen Konstruktionen. Bei der Konstruktion des Mikroskops, einem entscheidenden Hilfsmittel der biologischen Forschung, machte man sich die physikalischen Gesetze der Optik zu nutze.
Die systematische Erforschung biophysikalischer Phänomene setzte jedoch erst im 20. Jh. ein. Zunächst spielte die Entdeckung des Effekts ionisierender Strahlen auf biologische Objekte eine wichtige Rolle. Die Röntgenstrukturanalyse war Voraussetzung für die Entschlüsselung der Nucleinsäurenstruktur und zahlreicher Proteine. Wichtige physikalische Methoden, die in der biologischen Forschung angewendet werden sind neben der Lichtmikroskopie, die Elektronenmikroskopie sowie analytische Methoden wie Chromatografie, Zentrifugation oder Elektrophorese, auch nichtinvasive bildgebende Verfahren wie Magnet-Resonanz-Tomografie und Positronen-Emissions-Tomografie. In der modernen Molekularbiologie sind biophysikalische Verfahren besonders wichtig, wie z. B. effiziente Techniken zur Sequenzierung von DNA (Nobelpreis an P. BERG, W. GILBERT und F. SANGER 1980).
In der Sinnesphysiologie geht es um die Erregung durch physikalische Reize, deshalb sind hier häufig physiologische Fragestellungen mit biochemischen und physikalischen Fragestellungen verbunden. In der StoffwechselphysiologIe spielt die Thermodynamik eine entscheidende Rolle, dies gilt auch für die Untersuchungen zu Energieflüssen und Stoffkreisläufen in Ökosystemen und in der Biosphäre. Lange Zeit war die Entdeckung von pharmakologisch aktiven Stoffen an zufällige Beobachtungen und Entdeckungen geknüpft. Durch computergestützte makromolekulare Modellierungsmethoden (molecular modeling, drug design) konnte die Effektivität bei der Suche nach energetisch günstigen Molekülformen hier enorm gesteigert werden.
Die Biotechnologie ist die Verfahrenskunde von der Verwendung von Organismen, insbesondere Mikroorganismen, und ihren Leistungen für die Entwicklung und Durchführung technischer Prozesse in der Industrie und anderen Wirtschaftsbereichen (z. B. Abwasserreinigung, Futter- und Nahrungsmittelindustrie). Der Begriff „Technologie“ bezeichnet die Lehre von der Umsetzung von Rohstoffen in Fertigprodukte. Ziel der Biotechnologie ist die technische Nutzung von Lebenserscheinungen, wie Organismen, Zellen und Teilen daraus sowie molekularen Strukturen, für die Herstellung menschlich nutzbarer Produkte.
Der Begriff Bionik entstand aus der Zusammenfügung der Worte „Biologie“ und „Technik“ und legt damit den inhaltlichen Rahmen der Brückendisziplin fest. In der Bionik wird versucht, Verfahren, Konstruktions- und Entwicklungsprinzipien der lebenden Natur in technische Anwendungen umzusetzen. Biologische Materialien und Strukturen werden auf ihre Anwendungsmöglichkeiten in der Technik untersucht (z. B. der „Lotuseffekt“ zur Herstellung selbstreinigender Oberflächen). Konstruktionselemente und Funktionsmechanismen natürlicher Strukturen bis zu ganzen Geräten, die auf natürlichen Vorbildern beruhen, werden entwickelt. Auch die Entwicklung von Technologien zur Nutzung der Sonnenenergie nach dem Vorbild der Fotosynthese kann man dem Forschungsbereich Bionik zuordnen, ebenso den Versuch der „Evolutionsbionik“, biologische Evolutionsstrategien in der Technik für die Optimierung komplexer Systeme und Verfahren anzuwenden.
Bei der Biokybernetik handelt es sich um ein Grenzgebiet zwischen Biologie und Kybernetik. Die Kybernetik ist die Wissenschaft von den Steuerungs- und Regelungsprozessen. Solche Prozesse spielen in den Organismen und Ökosystemen eine wichtige Rolle, z. B. bei der Aufrechterhaltung der Körper-Homöostase (Körpertemperatur, Blutdruck, Blutzuckerspiegel, Elektrolytgehalt der Körperflüssigkeit) aber auch bei Bewegungsabläufen, bei Entwicklungsvorgängen oder bei der Genregulation. Der Begriff Kybernetik wurde 1948 von dem Mathematiker NORBERT WIENER eingeführt mit dem Werk „Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine“. Er kennzeichnete damit ein Wissens- und Forschungsgebiet aus den Bereichen der Steuerung, Regelungen und Informationsverarbeitung, das für technische Systeme ebenso relevant ist wie für lebende Systeme. Zentrale Größe der Kybernetik ist die Information, deshalb hat der Begriff Informatik die Kybernetik teilweise ersetzt. Lebewesen sind informationsverarbeitende Systeme.
Sie ist die Wissenschaft von der Verbreitung und Ausbreitung der Lebewesen auf der Erde. Traditionellerweise wird die Biogeografie meist in die getrennt abgehandelten Arbeitsgebiete der Tiergeografie (Zoogeografie) und der Pflanzengeografie (Phytogeografie) gegliedert. Übergeordnete Aufgabenbereiche sind die Beschreibung und die Erfassung des Artenbestands der Erde (Faunistik, Floristik) und die Beschreibung ihrer Lebensräume (Arealkunde).
Immer wenn biologische Erkenntnisse zur Grundlage von politischen Ansichten, Aktivitäten oder Entscheidungen gemacht werden, kann man dies als Biopolitik bezeichnen. So gesehen sind Naturschutz- und Umweltschutzgesetzte, politische Aktivitäten zu Vermeidung von Seuchen oder politische Vorgaben, die der Produktion giftfreier Nahrungsmittel dienen, im weitesten Sinne biopolitische Maßnahmen. Der Begriff „Biopolitik“ geht jedoch auf den Philosophen MICHEL FOUCAULT (1926–1984) zurück, der damit eine Tendenz des modernen Staates bezeichnete, den menschlichen Körper immer stärker zu kontrollieren. Damit sind z. B. staatliche Belehrungen zu gesundem Verhalten zu sehen, einschließlich der AIDS-Prävention. Dabei gibt es auch sehr gefährliche Aspekte der Biopolitik:, z. B. politische Versuche und Initiativen, die auf eine „Verbesserung“ der Erbanlagen (Eugenik) oder eine stärkere Vermehrung des intelligenteren Bevölkerungsanteils zu Ungunsten des weniger intelligenten abzielen. Welche Folgen solche Ansätze schließlich haben können, zeigen die Genozide des 20. Jahrhunderts, besonders extrem die systematische Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten.
Die Soziobiologie ist ein Teilgebiet der Biologie, das Evolutionsbiologie und Ethologie verbindet und auf dieser Basis nach naturwissenschaftlichen Erklärungen für soziale Verhaltensweisen bei Tieren und Menschen sucht. Der Begriff wurde 1975 durch EDWARD OSBORNE WILSON (*1929) in seinem Werk „Sociobiology – The New Synthesis“ geprägt. WILSON vermutete bei sozialem Verhalten auch beim Menschen einen starken biologischen Einfluss. Die sozialen Verhaltensweisen lassen sich danach evolutionsbiologisch über Selektionsmechanismen erklären. Diese Vermutung provozierte in den Geistes- und Sozialwissenschaften großen Widerstand. Auch der in diesem Zusammenhang von RICHARD DAWKINS (*1941) eingeführte Begriff des Mems als dem Gen analoge Einheit der kulturellen Evolution, wird von den Sozialwissenschaftlern kaum ernsthaft diskutiert. Allerdings gehen viele Soziologen – ähnlich wie DAWKINS – davon aus, dass das Sozialverhalten des Menschen nicht alleine mit biologischen Vorteilen erklärt werden kann, sondern dass es eine von Genen und genetischen Dispositionen weitgehend unabhängige Entwicklung der Kultur und damit auch des Sozialverhaltens gibt. Soziologische Forschungen, die sich aus dieser Sicht mit menschlichem Verhalten beschäftigen, werden häufig als Biosoziologie bezeichnet.
Die Entwicklung neuer Techniken in Biologie und Medizin erfordert immer wieder auch neue ethische Entscheidungen, die innerhalb der Bioethik formuliert werden. Durch Anwendungen biologischer Erkenntnisse werden zunehmend Grenzen überschritten, die lange Zeit als „natürlich“ bzw. „gottgegeben“ angesehen worden waren. Solche Grenzüberschreitungen ergeben sich aus der Reproduktionsbiologie, der technischen Lebensverlängerung, der gezielten Veränderung des Erbguts oder aus Eingriffen in das menschliche Gehirn. Die Frage, ob man alles machen darf, was man machen kann, stellt sich dabei immer wieder aufs Neue. Ethische Fragen werden aber auch berührt, wenn es um den Umgang des Menschen mit der gesamten natürlichen Umwelt geht.
Einige Brennpunkte der Bioethik: Gentechnologie, reproduktives Klonen, Reproduktionsmedizin, Stammzellenforschung, Ressourcenvernichtung, Nachhaltigkeit, Tierethik (inhumane Behandlung von Nutz- und Versuchstieren), Biodiversität (Ausrottung von biologischen Arten)
Die Biopsychologie beschäftigt sich mit dem Aufbau des Gehirns und dessen neurologischen Grundlagen.
Ein wichtiges Ziel der modernen Neurologie ist es, Zusammenhänge zwischen psychischen Vorgängen und den biologischen Prozessen aufzudecken und primär psychische Vorgänge wie Lernen, Denken und Bewusstsein und Willensentscheidungen auf neurobiologischer Basis zu erklären.
Biometrie ist ein Teilgebiet der Biomathematik mit der Aufgabe, Eigenschaften, Reaktions- und Verhaltensweisen organismischer Systeme, biologische Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten mit Maß und Zahl zu belegen. Dieser Abstraktionsprozess ist wesentliche Bedingung für eine mathematische Beschreibung biologischer Sachverhalte.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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