ALFRED RUSSEL WALLACE wurde am 8. Januar 1823 im englischen Usk, im damaligen Monmouthshire (heute Gwent) in Wales, geboren. Er war das achte von neun Kindern (er hatte fünf Schwestern und drei Brüder). Seine Eltern THOMAS VERE WALLACE und MARY ANNE GREENELL lebten mit ihrer großen Familie in sehr einfachen Verhältnissen. Bereits mit 14 Jahren - nach Beendigung der Grundschule - musste WALLACE die Schule verlassen und arbeiten gehen, damit er für den Lebensunterhalt der Großfamilie aufkam . WALLACE über seine eigene finanzielle Situation:
„Ich glaube nicht, dass ich bis zu meinem 21.Lebensjahr je einen Sovereign (= 1 Pfund) mein eigen nannte.“
Doch neben seiner Lehre als Vermesser oder später als er als Uhrmacher und Lehrer beschäftigt war, nutzte er jede freie Minute, um seine Ausbildung selbst voran zutreiben. So eignete er sich z. B. sein botanisches Wissen durch ein geliehenes Buch „Encyclopaedia of Plants“ von LOUDON an, indem er sich vom Buch ausgehend Notizen machte, die es ihm ermöglichten die einheimischen Pflanzen Englands zu bestimmen. Diese Methode in ausgereifterer Form ermöglichte es ihm auch später auf seinen Reisen in die Tropen die exotische Flora und Fauna zu bestimmen.
WALLACE hatte große Sehnsucht in die Tropen zu reisen und wurde in der Planung einer solchen „Reise“ von den Reiseberichten von CHARLES DARWIN und ALEXANDER VON HUMBOLDT darin bestätigt. Die beiden Forscher waren nach Einschätzung von WALLACE mit ihren Berichten verantwortlich dafür, sich dazu zu entschließen, als Sammler in die Tropen zu gehen. Sie gaben ihm sozusagen den Impuls.
WALLACE reiste schließlich auf die Südpazifischen Inseln. Im Amazonasgebiet (1848-1852) und auf einer weiteren ausgiebigen Reise im Malayischen Archipel (1854-1860) sammelte er wertvolle exotische Gegenstände, die er an Europäer verkaufte. Da er aus so vielen unterschiedlichen Gegenden sammelte, eignete WALLACE sich eine reiche Artenkenntnis an.
WALLACE und HENRY WALTER BATES (1825-1892), ein befreundeter Entomologe, gingen an Bord des Lastenseglers „Mischief“ (übersetzt: Unheil). Sie waren die einzigen Passagiere: Am 28.Mai 1848 erreichten sie Parà (heute: Belém). WALLACE und BATES hielten sich 1 1/2-Jahre in der Umgebung von Pará auf und WALLACE war fasziniert von dem Artenreichtum dieser Gegend, der nicht auf dem offenen Tablett zu finden war, aber nach sorgfältigen Beobachtungen festgestellt werden konnte: „Ich glaube beinahe, dass man auf einem einzigen Spaziergang in England zuweilen mehr Säugetiere, Vögel und sogar einige Gruppen von Insekten sehen kann als hier. Aber wenn man Tag für Tag nach ihnen sucht, ist die außerordentliche Vielfalt von seltsamen Formen und schönen Farben wirklich erstaunlich. Es gibt zum Beispiel wenige Plätze in England, wo während eines Sommers mehr als 30 Schmetterlingsarten gesammelt werden können; aber hier haben wir in etwa zwei Monaten mehr als 400 verschiedene Arten gefunden, viele von außerordentlicher Größe oder in den leuchtendsten Farben.“ Auf seinen ausgiebigen Reisen betrieb er umfangreiche Studien.
Als WALLACE sich von BATES trennte, krankheitsbedingt zwischenzeitlich nach England zurückkehrte und am 12.07.1852 mit dem Schiff „Helen“ unter dem Kapitän TURNER wieder in See stach, hatte er seine gesamten Privatsammlungen an exotischen Exemplaren und die zum Verkauf bestimmten Sammlungen aus der Region des Rio Negros bei sich. Ein Feuer, das am 6.08.1852 an Deck ausbrach, vernichtete alles. Die Helen sank, die Menschen an Bord mussten sich in Beiboote retten und trieben dem Tode nahe ca. zehn Tage allein auf See, bevor sie gerettet wurden. WALLACE rettete nur eine kleine Blechkiste mit Zeichnungen seiner Reise von Fischen und seltenen Palmenarten. WALLACE über den Verlust: „Ich hatte meine gesamte private Sammlung von Insekten und Vögeln, seit ich Pará verließ, bei mir, die Hunderte von neuen und wunderschönen Arten enthielt, welche meine Sammlung, was amerikanische Arten anbelangt, zu einer der stattlichsten Europas gemacht hätte.“
Acht Jahre lang erforschte WALLACE die Halbinsel Malakka, Borneo, Java, Sumatra, Bali, Lombok, Timor, Celebes, einige Molukkeninseln und Neuguinea mit angrenzenden Inseln. Seine Sammlung enthielt zum Ende hin ca. 300 Säugetiere, 100 Reptilien, 8050 Vögel, 7500 Mollusken, 13100 Schmetterlinge, 83200 Käfer, 13400 andere Insekten: Unglaubliche 125600 präparierte Exemplare schickte WALLACE nach England. Er selbst ging davon aus, ca. 3620 Schmetterlingsarten, 3700 Käferarten und ca. 8540 Insektenarten in seiner Sammlung zu haben.
WALLACE interessierte sich zunehmend für allgemeine Gesetzmäßigkeiten hinsichtlich der geografischen Verbreitung der von ihm beobachteten Lebewesen. Er stellte fest, dass große Flüsse nicht nur für Säugetiere, sondern auch für Insekten und Vögel eine Artenschranke bilden. Im Malayischen Archipel registrierte er die massiven Unterschiede zwischen östlichen und westlichen Tropen und suchte nach einer Begründung dafür. So entwickelten sich die Anfänge seiner Evolutionstheorie: „Jede Art ist aus einer vorher lebenden, nahe verwandten Art, mit der sie sowohl räumlich als auch zeitlich zusammenhängt, entstanden.“
WALLACE entdeckte eine Faunengrenze zwischen den direkt benachbarten Inseln Bali und Lombok und teilte die Tiere, die auf dem Malaiischen Archipels beheimatet waren, durch die 1868 von HUXLEY benannte WALLACE-Linie (Faunen-Grenze) zwischen Bali und Lombok in ein asiatisches und australisches Tierreich ein. Heute versteht man unter dieser Linie eher eine Übergangsregion, in der sowohl orientalische als auch australische Arten vorkommen. Diese Region wird heute zu Ehren ihres Entdeckers als Wallacea bezeichnet.
Auf den Molukken schließlich formuliert WALLACE erstmals seine Evolutionstheorie . WALLACE über diese Zeit: „Zu dieser Zeit litt ich unter heftigen Malaria-Attacken und mußte mich jeden Tag zwischen den kalten und den darauf folgenden heißen Schüben für viele Stunden hinlegen. Während dieser Zeit konnte ich nichts tun, als über die Dinge nachzudenken, die mich damals besonders interessierten.“ „In a sudden flash of insight“ erkannte WALLACE die Auslese als Ursache für die Evolution. Er schrieb die Schrift „On the Tendency of Varieties to Depart Indefinitely from the Original Type“ (Über die Tendenz der Varietäten, unbegrenzt vom Originaltypus abzuweichen) und schickte DARWIN sein Werk in einem Brief (Februar, 1858).
WALLACE war bescheidener Wegbegleiter der Abstammungslehre. Er unterhielt einen lebenslangen Briefwechsel mit CHARLES DARWIN. Auch wenn WALLACE den BEGRIFF „Natürliche Selektion“ (natural selection) nicht benutzte, waren seine Theorien über die Evolution annähernd identisch mit denen, welche CHARLES DARWIN schon lange mit sich herumtrug, jedoch bisher noch nicht publiziert hatte. Statt seine Arbeit aber direkt einem Verlag zukommen zu lassen, sendete WALLACE sie zu aller erst CHARLES DARWIN, mit dem er einen regen Briefwechsel begonnen hatte. Er bat ihn um Korrektur des Manuskripts.
Als DARWIN diese Arbeit sah, realisierte er, dass er den Ruhm seiner langjährigen Arbeit unter Umständen an WALLACE abgeben musste und entschloss sich, durch WALLACE genötigt, seine eigene über 20 Jahre zurückgehaltene Theorie zu veröffentlichen.
MARK BENECKE, Fellow der Linnean Society, beschreibt die Reaktion DARWINS folgendermaßen:
Charles Lyell und Joseph Hooker sandten am 30. Juni 1858 drei wissenschaftliche Arbeiten an den Sekretär der Linnean Society; Erstens: Charles Darwins „On the variation of organic beings in a state of nature“ von 1839, zweitens einen Brief Darwins an Professor Asa Grey in Boston vom 5. September 1857 und schließlich die Schrift von Alfred Russel Wallace „On the tendency of varieties to depart indefinetly from the original type“. Nachdem die zwei Arbeiten Darwins und eine von Wallace vor der Linnean Society in London verlesen worden waren, wurden die drei Arbeiten der beiden Forscher am 20. August 1858 gemeinsam im Zoologischen Journal der Linnean Society of London veröffentlicht.
Die Arbeit von WALLACE stammt ursprünglich vom Februar 1858. Wallace hatte sie Darwin zur Korrektur übersandt. Erst jetzt entschloss sich auch DARWIN dazu, seine über Jahrzehnte gesammelten Tatsachen zur Evolutionstheorie zu veröffentlichen. Durch die gewählte Reihenfolge der Verlesung in der Linnean Society am 1. Juli 1858 wurde DARWIN unstreitig zum Begründer des Evolutionsgedankens. DARWIN und WALLACE nahmen in ihren Büchern jeweils freundlich Bezug aufeinander, zitierten sich oft und brachen keinen Vorrechtsstreit vom Zaun. WALLACE nannte die Evolutionstheorie, die er selbst unabhängig von DARWIN (als zweiter) entwickelt hatte, stets „Darwinismus“.
Da kommt vermutlich ein besonderer Charakterzug von WALLACE zum Vorschein! Er verspürte keinerlei Ressentiments gegenüber DARWIN, dass ihm so wenig Ehre zuteil wurde. Er war voll und ganz zufrieden über seinen Ruhm, den er wegen seiner Reisebeschreibungen und seiner wertvollen Sammlungen erntete (die übrigens an Anzahl und Vielfältigkeit die von DARWIN bei weitem übertrafen). Auch wurden seine biogeografischen Arbeiten breit anerkannt und geschätzt.
Bis zu seinem Lebensende unterhielten WALLACE und DARWIN eine gute Beziehung und hatten einen regen regelmäßigen Briefwechsel. WALLACE wurde sogar zum eifrigen Verfechter, Kommentator und „Fan“ des „Darwinismus“. Selbst im hohen Alter war er stolz darauf, sich selbst zu beglückwünschen, DARWIN zur Publikation seiner Theorie gebracht zu haben: „Ich bin wirklich dankbar, dass es nicht mir überlassen blieb, der Welt die Theorie zu unterbreiten. DARWIN hat eine neue Wissenschaft und Philosophie geschaffen.“
WALLACE überlebte nahezu alle seine Freunde und Kollegen und starb neunzigjährig am 7. November 1913 in Broadstone, Dorsetshire.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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