- Lexikon
- Politik/Wirtschaft
- 4 Gesellschaft im Wandel
- 4.2 Gesellschaftsstrukturen und Sozialisation
- 4.2.1 Bevölkerung
- Revolution der Lebensdauer
Vor dem Ersten Weltkrieg zeigte die Altersstruktur der deutschen Bevölkerung (Bild 1) das Aussehen einer Pyramide (Alterspyramide):
Während des 20. Jahrhunderts wurde die Alterspyramide durch
Bevölkerungspyramide für Deutschland 1910, 1995 und 2040
tief aufgerissen und sieht eher einer „zerzausten Wettertanne“ ähnlich – so der Bevölkerungsstatistiker PAUL FLASKÄMPER. Die Bevölkerungsentwicklung tendiert dahin, die Pyramide umzukehren. Die starken Jahrgänge der jetzt 30- bis 60-Jährigen bauchten die Pyramide in der Mitte aus. In weiteren 50 Jahren werden die starken Jahrgänge die Spitze bevölkern und der Sockel wird nur zahlenmäßig kleine Jahrgänge von Neugeborenen aufweisen. Der proportionalen Abnahme bei Kindern und Jugendlichen steht die Zunahme bei den Alten auf ca. das Dreifache gegenüber.
Darin zeigt sich die Alterung der Bevölkerung (demografische Alterung). Die Bevölkerungsentwicklung zugunsten des Anteils der älteren Jahrgänge an der Gesamtbevölkerung hat zwei Hauptgründe, die ihrerseits von ganzen Reihen von Faktoren bestimmt sind:
Seit 1871 hat sich die durchschnittliche Lebensdauer verdoppelt. Dabei trat der größte Sprung zwischen 1871 und 1910 auf; seitdem steigt die Lebenserwartung langsamer. Es wird angenommen, dass insbesondere medizinische und sanitäre sowie arbeits-, sozial- und siedlungspolitische Fortschritte sich positiv auf die Lebensdauer ausgewirkt haben.
Die „Revolution der Lebensdauer“ (TOM KIRKWOOD) äußert sich als
Das Leben dauert je nach Geschlecht und sozialer Schicht im Durchschnitt unterschiedlich lang. Die deutlich längere Lebensdauer der Frauen schon im 20. Jahrhundert hat sich weiter verstärkt. Die Differenz liegt bei fünf bis sechs Jahren und wird u. a. auf günstigere Lebensbedingungen im Haushalt und der Arbeitswelt sowie gesundheitsbewusstere Lebensführung zurückgeführt. Menschen unterer sozialer Schichten tragen ein größeres Risiko, früher zu sterben (Differenz bis zu vier Jahre). Generell gilt, dass die Lebensdauer von sozioökonomischen und soziokulturellen Faktoren, wie Bildung, Beruf, Einkommen und Lebensführung beeinflusst wird.
Die demografische Alterung aufgrund steigender Lebenserwartung und niedriger Geburtenhäufigkeit ist ein lang angelegter Prozess, dessen generelle Richtung nicht kurzfristig beeinflussbar scheint. Sie hat praktische Folgen und eröffnet den Menschen neue Lebenschancen, die lange Zeit in Politik und Öffentlichkeit unterschätzt wurden.
Die Ausgestaltung des längeren Lebens ist eine Aufgabe sowohl der Individuen als auch der Gesellschaft. Viele Überlegungen und Projekte stehen erst am Beginn. Als notwendig zeigt sich bereits, die üblichen Vorstellungen von menschlicher Produktivität und Bildung fortzuentwickeln, ebenso die Leitbilder von den Generationen und ihrer Abfolge. Dies würde einen Grund legen für Aufforderungen der Politik, „lebenslang zu lernen“ oder vermehrt bürgerschaftliches Engagement einzugehen.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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