- Lexikon
- Musik
- 5 Gattungsgeschichte
- 5.2 Instrumentalmusik
- 5.2.2 Orchestermusik
- Liszts sinfonische Dichtungen
FRANZ LISZT (1811–1886) verwandte den Gattungsbegriff „Sinfonische Dichtung“ ab 1854.
Die Wurzeln des Begriffs „Sinfonische Dichtung“ liegen in der Klaviermusik des beginnenden 19. Jh. In dieser Zeit verbreitete sich die Übernahme von Gattungsbezeichnungen aus dem Bereich der Dichtung in die Instrumentalmusik. Einige frühe Beispiele dafür geben
Dabei geht es darum, den Ausdruck und den besonderen Tonfall der literarischen Gattung musikalisch umzusetzen. CARL LOEWE (1796–1869) ging dabei mit seinem Klavierstück „Mazeppa – Eine Tondichtung nach Byron“ (1830) noch weiter. Im Titel wird auf eine konkrete dichterische Vorlage zu Lord GEORG BYRONs (1788–1824) Gedicht „Mazeppa“ verwiesen.
Mit diesem Hinweis auf eine nichtmusikalische Vorlage ebnete LOEWE den Weg zur Verbindung poetischer Kompositionsabsichten mit außermusikalischen Programmen. In FRANZ LISZTs (1811–1886) Klavierschaffen gewann diese Idee einer poetischen Musik erheblich an Bedeutung.
Da sich die Sinfonischen Dichtungen nach außermusikalischen Vorlagen gestalten, sind sie in die Gattung der Programm-Musik einzuordnen. Im Bereich des Sinfonischen finden sie
die wesentlichen Vorläufer.
HECTOR BERLIOZ' (1803–1869) auf einem Gemälde von GASPARD FÉLIX TOURNACHON (um 1863)
Ziel war es, die erstarrten Sinfonie-Konzepte der Wiener Klassik zu erneuern. Bereits im Chorfinale von BEETHOVENs 9. Sinfonie d-Moll op. 125 (1822–1824) war ein Aufweichen der alten Formen in der Überschreitung traditioneller Gattungsgrenzen zu sehen. Angesichts des zugrunde liegenden literarischen Werkes wurde die Musik hier zum Ausdruck einer „dichterischen Absicht“. Die literarische Grundlage dieses Orchesterwerks nahmen eine Reihe Komponisten zum Anlass, auch in ihren Sinfonien außermusikalische Themen als Programme einzubeziehen. Während RICHARD WAGNER (1813–1883) in seinen Musikdramen Texte bzw. Handlung als Vorlagen einbindet, greift FRANZ LISZT in den Sinfonischen Dichtungen auf poetische Ideen, Sujets bzw. Programme zurück.
Die Sinfonische Dichtung unterscheidet sich von der Sinfonie also vorrangig durch
Das ist aber nicht immer an der Benennung der Werke festmachbar. So bezeichnete LISZT seine 1. Sinfonische Dichtung auch noch nach Einführung der neuen Gattungsbezeichnung 1854 als „Bergsinfonie“.
Auch in der Ouvertüre liegt ein Ausgangspunkt für die Entstehung der Sinfonischen Dichtung, da ihr durch die einleitende Funktion zu einer Oper bzw. zu einem Schauspiel bereits ein literarisches Thema zugrunde liegt. Insbesondere
sind in diesem Zusammenhang als wichtige Wegbereiter zu nennen.
LISZT bezeichnete noch bis 1854 seine einsätzigen sinfonischen Werke als Ouvertüren. Er übertrug erst in dem zusammengestellten Zyklus seiner 12 Sinfonischen Dichtungen den Begriff auch auf die vor 1854 entstandenen Kompositionen. Durch die Einführung des neuen Begriffs „Sinfonische Dichtung“ sollte ein höherer sinfonischer Rang gegenüber der Ouvertüre zum Ausdruck gebracht werden. Dies zeigt sich in drei Punkten:
Die Konzertouvertüre mit Programm wollte LISZT aber von diesem neuen Konzept der Sinfonischen Dichtung klar abgrenzen. Dennoch sind die nach 1854 komponierten Ouvertüren anderer Komponisten von dieser neuen Sinfonie-Idee beeinflusst, auch ohne die Gattungsbezeichnung übernommen zu haben.
Als Programme für die Sinfonischen Dichtungen dienten Themen
Die Inhalte wurden aber nicht bloß illustriert bzw. nacherzählt. Vielmehr ging es darum, das in Dichtung und Malerei nicht Darstellbare mithilfe der Musik auszudrücken. Die Musik wurde selbst zur Dichtung, in dem sie es sich zur Aufgabe machte, innere Vorgänge bzw. konkrete Gefühlsgehalte zu erzählen. Der Inhalt prägte zugleich die Form, in dem sich die Strukturprinzipien der klassischen Sinfonie dem zugrunde gelegten Sujet unterordneten. Mit der Gattungsidee Sinfonische Dichtung kann also kein bestimmter Aufbau verbunden werden.
Es sind vier Kriterien der Sinfonik bei LISZT bekannt:
Seit dem späteren 19. Jh. wird der Begriff „Sinfonische Dichtung“ nicht selten durch das Wort „Tondichtung“ ersetzt, z.B. in
LISZTs Sinfonische Dichtungen sind reine Orchesterwerke. Die weitere Gattungsgeschichte überträgt den Begriff aber auch auf Kompositionen mit Chor. Ein Beispiel dafür ist die Bezeichnung „Sinfonische Dichtung“ für CESAR FRANCKs (1822–1890) mehrsätziges sinfonisches Werk mit Chorpartien „Psyché“ (1886–1888).
Der Begriff „Sinfonische Dichtung“ wurde nach LISZT oft auf Programmsinfonien ausgeweitet, wie bei MORITZ MOSZKOWSKIs (1854–1925) „Johanna d`Arc“ op. 19 oder bei GUSTAV MAHLER (1860–1911), der seine 1. Sinfonie D-Dur selbst zeitweilig als „‚Titan’ einer Tondichtung in Symphonieform“ bezeichnete.
In den Jahren 1848–1858 schrieb LISZT 12 Sinfonische Dichtungen. Er komponierte die Werke in Weimar, wo auch die meisten von ihnen uraufgeführt wurden. Die Zusammenstellung zu einem Zyklus war ein Bestandteil der Konzeption Sinfonische Dichtung.
„Was ist unser Leben anderes als eine Reihenfolge von Präludien zu jenem unbekannten Gesang, dessen erste feierliche Note der Tod anstimmt?“
Doch es bleibt zu überlegen, ob mit diesen beiden Quellen der inhaltliche Kern der optimistischen Komposition getroffen ist. Im Gegensatz zur Mehrzahl der Titel in „Les Préludes“ („Die Vorspiele“), handelt es sich hier um ein sinfonisches Orchesterwerk in einem einzigen Satz.
„Die Hunnenschlacht“ (1834–1837) von WILHELM VON KAULBACH (1804–1874)
Als Ausläufer der Gattung komponierte LISZT 1881/1882 die Sinfonische Dichtung „Von der Wiege bis zum Grabe“ nach der Federzeichnung eines ungarischen Großgrundbesitzers. In diesem Werk wird die für LISZTs Spätstil charakteristische gedrungene Gestaltung deutlich.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
Ein Angebot von