- Lexikon
- Physik Abitur
- 8 Spezielle Relativitätstheorie
- 8.5 Ausblick auf die allgemeine Relativitätstheorie
- 8.5.0 Ausblick auf die allgemeine Relativitätstheorie
- Allgemeine Relativitätstheorie im Original
ALBERT EINSTEIN (Bild 1), der 1905 die spezielle Relativitätstheorie und 1915 die allgemeine Relativitätstheorie veröffentlichte, stellte selbst die wichtigste Inhalte dieser Theorien in vielen Vorträgen und Veröffentlichungen dar. Dabei versuchte er die Grundgedanken der neuen Theorien in möglichst einfacher und gut überschaubarer Weise zu formulieren. Ein Beispiel dafür sind die nachfolgenden Auszüge aus einer Arbeit von ihm, die 1916 unter dem Titel „Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie“ veröffentlicht wurde.
ALBERT EINSTEIN (1879-1955) begründete 1915 die allgemeine Relativitätstheorie. Jugendbildnis von Albert Einstein
Die Auszüge sind einem Nachdruck entnommen, der 1969 als Gemeinschaftsausgabe der Verlage
Akademie-Verlag Berlin
Pergamon Press Oxford
Vieweg & Sohn Braunschweig
erschienen ist. Formuliert ist das Büchlein im Stil der Zeit. Die Sprache wirkt heute manchmal etwas antiquiert.
Das vorliegenden Büchlein soll solchen eine möglichst exakte Einsicht in die Relativitätstheorie vermitteln, die sich vom allgemein wissenschaftlichen, philosophischen Standpunkt für die Theorie interessieren, ohne den mathematischen Apparat der theoretischen Physik zu beherrschen. Die Lektüre setzt etwa Maturitätsbildung (= Abiturbildung - der Verf.) und - trotz der Kürze des Büchleins -ziemlich viel Geduld und Willenskraft beim Leser voraus. Der Verfasser hat sich die größte Mühe gegeben, die Hauptgedanken möglichst deutlich und einfach vorzubringen, im ganzen in solcher Reihenfolge und in solchem Zusammenhange, wie sie tatsächlich entstanden sind. Im Interesse der Deutlichkeit schien es mir unvermeidlich, mich oft zu wiederholen, ohne auf die Eleganz der Darstellung die geringste Rücksicht zu nehmen; ich hielt mich gewissenhaft an die Vorschrift des genialen Theoretikers L. BOLTZMANN, man solle die Eleganz Sache der Schneider und Schuster sein lassen. Schwierigkeiten, die in der Sache begründet liegen, glaube ich dem Leser nicht vorenthalten zu haben. Dagegen habe ich die empirischen physikalischen Unterlagen der Theorie absichtlich stiefmütterlich behandelt, damit es dem der Physik ferner stehenden Leser nicht ergehe wie dem Wanderer, der vor lauter Bäumen keinen Wald sieht. Möge das Büchlein manchem einige frohe Stunden der Anregung bringen!
Dezember 1916 A. EINSTEIN
ZWEITER TEIL
Hinweis: Auszüge aus dem ersten Teil zur speziellen Relativitätstheorie sind unter dem Stichwort „Spezielle Relativitätstheorie im Original“ zu finden.
§ 18. Spezielles und allgemeines Relativitätsprinzip
Die Grundthese, um welche sich alle bisherigen Ausführungen drehen, war das spezielle Relativitätsprinzip, d.h. das Prinzip von der physikalischen Realität aller gleichförmigen Bewegungen. Analysieren wir noch einmal genau seinen Inhalt!
Daß jegliche Bewegung ihrem Begriff nach nur als relative Bewegung gedacht werden muß, war zu allen Zeiten einleuchtend. Bei unserem viel benutzten Beispiel vom Bahndamm und vom Eisenbahnwagen kann die Tatsache der hier stattfindenden Bewegung mit gleichem Rechte in den beiden Formen ausgesprochen werden:
a) der Wagen bewegt sich relativ zum Bahndamm,
b) der Bahndamm bewegt sich relativ zum Wagen.
Im Falle a) dient bei dieser Ausage der Bahndamm, im Falle b) der Wagen als Bezugskörper. Bei der bloßen Feststellung bzw. Beschreibung der Bewegung ist es prinzipiell gleichgültig, auf was für einen Bezugskörper man die Bewegung bezieht. Dies ist, wie gesagt, selbstverständlich und darf nicht mit der viel weitergehenden Aussage verwechselt werden, welche wir „Relativitätsprinzip“ genannt und unseren Untersuchungen zugrunde gelegt haben.
Das von uns benutzte Prinzip behauptet nicht nur, daß man für die Beschreibung jeglichen Geschehens ebensowohl den Wagen wie den Bahndamm als Bezugskörper wählen könne (denn auch dies ist selbstverständlich). Unser Prinzip behauptet vielmehr: Formuliert man die allgemeinen Naturgesetze, wie sie sich aus der Erfahrung ergeben, indem man sich
a) des Bahndamms als Bezugskörper bedient,
b) des Wagens als Bezugskörper bedient,
so lauten diese allgemeinen Naturgesetze (z.B. die Gesetze der Mechanik oder das Gesetz der Lichtausbreitung im Vakuum) genau gleich in beiden Fällen. Man kann das auch so ausdrücken: Für die physikalische Beschreibung der Naturvorgänge ist keiner der Bezugskörper K, K' vor dem anderen ausgezeichnet....
Wir haben nun aber bisher keineswegs die Gleichwertigkeit aller Bezugskörper K mit Bezug auf die Formulierung der Naturgesetze behauptet.... Außer K sollten aber auch alle diejenigen Bezugskörper K' in diesem Sinne bevorzugt und mit K für die Formulierung der Naturgesetze genau gleichwertig sein, welche relativ zu K eine geradlinig gleichförmige, rotationsfreie Bewegung ausführen: alle diese Bezugskörper werden als GALILEIsche Bezugskörper angesehen. Nur für diese Bezugskörper wurde die Gültigkeit des Relativitätsprinzips angenommen, für andere (anders bewegte) nicht. In diesem Sinne sprechen wir vom speziellen Relativitätsprinzip bzw. spezieller Relativitätstheorie.
Im Gegensatz hierzu wollen wir unter „allgemeinem Relativitätsprinzip“ die Behauptung verstehen: Alle Bezugskörper K, K' usw. sind für die Naturbeschreibung (Formulierung der allgemeinen Naturgesetze) gleichwertig, was auch deren Bewegungszustand sein mag. Es sei aber gleich bemerkt, daß diese Formulierung durch eine abstraktere ersetzt werden muß aus Gründen, die erst später zutage treten werden.
Nachdem sich die Einführung des speziellen Relativitätsprinzips bewährt hat, muß es jedem nach Verallgemeinerung strebenden Geiste verlockend erscheinen, den Schritt zum allgemeinen Relativitätsprinzip zu wagen. Aber eine einfache, scheinbar ganz zuverlässige Betrachtung läßt einen solchen Versuch zunächst aussichtslos erscheinen. Der Leser denke sich in den schon so oft betrachteten, gleichförmig fahrenden Eisenbahnwagen versetzt. Solange der Wagen gleichförmig fährt, ist für den Insassen nichts vom Fahren des Wagens zu merken. Daher kommt es auch, daß der Insasse den Tatbestand ohne inneres Widerstreben dahin deuten kann, daß der Wagen ruhe, der Bahndamm aber bewegt sei. Diese Interpretation ist übrigens nach dem speziellen Relativitätsprinzip auch physikalisch ganz berechtigt.
Wird nun aber die Bewegung des Wagens etwa dadurch in eine ungleichförmige verwandelt, daß der Wagen kräftig gebremst wird, so erhält der Insasse einen entsprechend kräftigen Ruck nach vorne. Die beschleunigte Bewegung des Wagens äußert sich in dem mechanischen Verhalten der Körper relativ zu ihm; das mechanische Verhalten ist ein anderes als im vorhin betrachteten Falle, und es erscheint deshalb ausgeschlossen zu sein, daß relativ zum ungleichförmig bewegten Wagen die gleichen mechanischen Gesetze gelten, wie relativ zum ruhenden bzw. gleichförmig bewegten Wagen. Jedenfalls ist klar, daß relativ zum ungleichförmig bewegten Wagen der GALILEIsche Grundsatz nicht gilt.
Wir fühlen uns daher zunächst genötigt, entgegen dem allgemeinen Relativitätsprinzip der ungleichförmigen Bewegung eine Art absolute physikalische Realität zuzusprechen. Im folgenden werden wir aber bald sehen, daß dieser Schluß nicht stichhaltig ist.
Auf die Frage „ Warum fällt ein Stein, den wir emporheben und darauf loslassen, zur Erde?“ antwortet man gewöhnlich: „Weil er von der Erde angezogen wird.“ Die moderne Physik formuliert die Antwort etwas anders aus folgendem Grunde. Durch genaueres Studium der elektromagnetischen Erscheinungen ist man zu der Auffassung gekommen, daß es eine unvermittelte Wirkung in die Ferne nicht gebe. Zieht z.B. ein Magnet ein Stück Eisen an, so darf man sich nicht mit der Auffassung zufriedengeben, daß der Magnet durch den leeren Zwischenraum hindurch auf das Eisen direkt einwirke, sondern man stellt sich nach FARADAY vor, daß der Magnet in dem ihn umgebenden Raume etwas physikalisch Reales stets hervorrufe, was man als „magnetisches Feld“ bezeichnet. Dies magnetische Feld wirkt seinerseits wieder auf das Eisenstück ein, so daß es sich zum Magneten zu bewegen strebt. Die Berechtigung dieses an sich willkürlichen Zwischenbegriffes wollen wir hier nicht erörtern. Es sei nur bemerkt, daß man mit seiner Hilfe die elektromagnetischen Erscheinungen, insbesondere die Ausbreitung der elektromagnetischen Wellen, viel befriedigender theoretisch darstellen kann als ohne denselben. Analog faßt man auch die Wirkung der Gravitation auf....
Das Gravitationsfeld weist im Gegensatz zum elektrischen und magnetischen Felde eine höchst merkwürdige Eigenschaft auf, welche für das Folgende von fundamentaler Bedeutung ist. Körper, die sich unter ausschließlicher Wirkung des Schwerefeldes bewegen, erfahren eine Beschleunigung, welche weder vom Material noch vom physikalischen Zustande des Körpers im geringsten abhängt. Ein Stück Blei und ein Stück Holz fallen beispielsweise im Schwerefelde (im luftleeren Raume) genau gleich, wenn man sie ohne bzw. mit gleicher Anfangsgeschwindigkeit fallen läßt. Man kann dies äußerst genau gültige Gesetz auch noch anders formulieren auf Grund folgender Erwägung.
Nach NEWTONs Bewegungsgesetz ist
(Kraft) = (träge Masse) x (Beschleunigung),
wobei die „träge Masse“ eine charakteristische Konstante des beschleunigten Körpers ist. Ist nun die beschleunigende Kraft die Schwere, so ist andererseits
(Kraft) = (schwere Masse) x (Intensität des Schwerefeldes),
wobei die „schwere Masse“ ebenfalls eine für den Körper charakteristische Konstante ist. Aus beiden Relationen folgt:
Soll nun, wie die Erfahrung ergibt, bei gegebenem Schwerefelde die Beschleunigung unabhängig von der Natur und dem Zustande des Körpers stets dieselbe sein, so muß das Verhältnis der schweren zur trägen Masse ebenfalls für alle Körper gleich sein. Man kann also dies Verhältnis durch passende Wahl der Einheiten zu 1 machen; dann gilt der Satz: Die schwere und die träge Masse eines Körpers sind einander gleich.
Die bisherige Mechanik hat diesen wichtigen Satz zwar registriert, aber nicht interpretiert. Eine befriedigende Interpretation kann nur so zustande kommen, daß man einsieht: Dieselbe Qualität des Körpers äußert sich je nach Umständen als „Trägheit“ oder als „Schwere“. Inwiefern dies tatsächlich der Fall ist, und wie diese Frage mit dem allgemeinen Relativitätspostulat zusammenhängt, wird im nächsten Paragraphen dargelegt.
Wir denken uns ein geräumiges Stück leeren Weltraumes, so weit weg von Sternen und erheblichen Massen, daß wir mit hinreichender Genauigkeit den Fall vor uns haben, der im GALILEIschen Grundgesetz vorgesehen ist. Es ist dann möglich, für diesen Teil Welt einen GALILEIschen Bezugskörper zu wählen, relativ zu welchem ruhende Punkte ruhend bleiben, bewegte dauernd in geradlinig gleichförmiger Bewegung verharren. Als Bezugskörper denken wir uns einen geräumigen Kasten von der Gestalt eines Zimmers; darin befinde sich ein mit Apparaten ausgestatteter Beobachter. Für diesen gibt es natürlich keine Schwere. Er muß sich mit Schnüren am Boden befestigen, wenn er nicht beim leisesten Stoß gegen den Boden langsam gegen die Decke des Zimmers entschweben will.
In der Mitte der Kastendecke sei außen ein Haken mit Seil befestigt und an diesem fange nun ein Wesen von uns gleichgültiger Art mit konstanter Kraft zu ziehen an. Dann beginnt der Kasten samt dem Beobachter in gleichförmig beschleunigtem Fluge nach „oben“ zu fliegen. Seine Geschwindigkeit wird im Lauf der Zeit ins Phantastische zunehmen - falls wir all dies beurteilen von einem anderen Bezugskörper aus, an dem nicht mit einem Stricke gezogen wird.
Wie aber beurteilt der Mann im Kasten den Vorgang?
Die Beschleunigung des Kastens wird vom Boden desselben durch Gegendruck auf ihn übertragen. Er muß also diesen Druck mittels seiner Beine aufnehmen, wenn er nicht seiner ganzen Länge nach den Boden berühren will. Er steht dann im Kasten genau wie einer in einem Zimmer eines Hauses auf unserer Erde steht. Läßt er einen Körper los, den er vorher in der Hand hatte, so wird auf diesen die Beschleunigung des Kastens nicht mehr übertragen; der Körper wird sich daher in beschleunigter Relativbewegung dem Boden des Kastens nähern. Der Beobachter wird sich ferner überzeugen, daß die Beschleunigung des Körpers gegen den Boden immer gleich groß ist, mit was für einen Körper er auch den Versuch ausführen mag.
Der Mann im Kasten wird also, gestützt auf seine Kenntnisse vom Schwerefelde, wie wir sie im letzten Paragraphen besprochen, zu dem Ergebnis kommen, daß er samt dem Kasten sich in einem ziemlich konstanten Schwerefelde befinde. Er wird allerdings einen Augenblick verwundert sein darüber, daß der Kasten in diesem Schwerefelde nicht falle. Da entdeckt er aber den Haken in der Mitte der Decke und das an demselben befestigte gespannte Seil, und er kommt folgerichtig zu dem Ergebnis, daß der Kasten in dem Schwerefelde ruhend aufgehängt sei.
Dürfen wir über den Mann lächeln und sagen, er befinde sich mit seiner Auffassung im Irrtum? Ich glaube, wir dürfen das nicht, wenn wir konsequent bleiben wollen, sondern wir müssen zugeben, daß seine Auffassungsweise weder gegen die Vernunft noch gegen die bekannten mechanische Gesetze verstößt. Wir können den Kasten, wenn er auch gegen den zuerst betrachteten „GALILEIschen Raum“ beschleunigt ist, dennoch als ruhend ansehen. Wir haben also guten Grund, das Relativitätsprinzip auszudehnen auf relativ zueinander beschleunigte Bezugskörper und haben so ein kräftiges Argument für ein verallgemeinertes Relativitätspostulat gewonnen.
Man beachte wohl, daß die Möglichkeit dieser Auffassungsweise auf der fundamentalen Eigenschaft des Schwerefeldes beruht, allen Körpern dieselbe Beschleunigung zu erteilen, oder, was dasselbe bedeutet, auf dem Satz von der Gleichheit der trägen und schweren Masse. Würde dies Naturgesetz nicht bestehen, so würde der Mann im beschleunigten Kasten das Verhalten der Körper seiner Umgebung nicht durch die Voraussetzung eines Gravitationsfeldes deuten können, und er wäre aufgrund keiner Erfahrung berechtigt, seinen Bezugskörper als „ruhenden“ vorauszusetzen.
Der Mann im Kasten befestige an der Innenseite der Kastendecke ein Seil und an dessen freiem Ende einen Körper. Durch diesen wird bewirkt werden, daß das Seil in gespanntem Zustande „vertikal“ herabhängt. Wir fragen nach der Ursache der Spannung des Seiles. Der Mann im Kasten wird sagen: „Der aufgehängte Körper erfährt im Schwerefeld eine Kraft nach unten, welcher durch die Seilspannung das Gleichgewicht gehalten wird; maßgebend für die Größe der Seilspannung ist die schwere Masse des aufgehängten Körpers.“
Andererseits wird aber ein Beurteiler, der frei im Raume schwebt, den Zustand so beurteilen: „Das Seil ist gezwungen, die beschleunigte Bewegung des Kastens mitzumachen und überträgt diese auf den daran befestigten Körper. Die Seilspannung ist so groß, daß sie die Beschleunigung des letzteren gerade zu bewirken vermag. Maßgebend für die Größe der Spannung im Seile ist die träge Masse des Körpers.“
Wir sehen aus diesem Beispiele, daß unsere Erweiterung des Relativitätsprinzips den Satz von der Gleichheit der trägen und schweren Masse als notwendig erscheinen läßt. Damit ist eine physikalische Interpretation dieses Satzes gewonnen.
Aus der Betrachtung des beschleunigten Kastens sieht man, daß eine allgemeine Relativitätstheorie wichtige Ergebnisse über die Gesetze der Gravitation liefern muß. ...
Die Betrachtungen des § 20 zeigen, daß das allgemeine Relativitätsprinzip uns in der Stand setzt, auf rein theoretischem Wege Eigenschaften des Gravitationsfeldes abzuleiten. Es sei nämlich der raumzeitliche Vorgang irgendeines Naturvorganges bekannt, so wie er sich im GALILEIschen Gebiet relativ zu einem GALILEIschen Bezugskörper abspielt. Dann kann man durch rein theoretische Operationen ... finden, wie sich dieser bekannte Naturvorgang von einem relativ zu K beschleunigten Bezugskörper K' aus ausnimmt. Da aber relativ zu diesem neuen Bezugskörper K' ein Gravitationsfeld existiert, so erfährt man bei der Betrachtung, wie das Gravitationsfeld den studierten Vorgang beinflußt. So erfahren wir beispielsweise, daß ein Körper, der gegenüber K eine geradlinig gleichförmige Bewegung ausführt..., gegenüber dem beschleunigten Bezugskörper K' (Kasten) eine beschleunigte, im allgemeinen krummlinige Bewegung ausführt. Diese Beschleunigung bzw. Krümmung entspricht dem Einfluß des relativ zu K' herrschenden Gravitationsfeldes auf den bewegten Körper. Daß das Gravitationsfeld auf diese Weise die Bewegung der Körper beeinflußt, ist bekannt, so daß die Überlegung nichts prinzipiell Neues liefert.
Ein neues Ergebnis von fundamentaler Wichtigkeit erhält man aber, wenn man die entsprechende Überlegung für einen Lichtstrahl durchführt. Gegenüber dem GALILEIschen Bezugskörper K pflanzt sich dieser in gerader Linie mit der Geschwindigkeit c fort. In Bezug auf den beschleunigten Kasten (Bezugskörper K') ist, wie leicht abzuleiten ist, die Bahn desselben Lichtstrahles keine Gerade mehr. Hieraus ist zu schließen, daß sich Lichtstrahlen in Gravitationsfeldern im allgemeinen krummlinig fortpflanzen.
Dies Ergebnis ist in zweifacher Hinsicht von großer Wichtigkeit.
Erstens nämlich kann dasselbe mit der Wirklichkeit verglichen werden. Wenn eine eingehende Überlegung auch ergibt, daß die Krümmung der Lichtstrahlen, welche die allgemeine Relativitätstheorie liefert, für die uns in der Erfahrung zur Verfügung stehenden Gravitationsfelder nur äußerst gering ist, so soll sie für Lichtstrahlen, die in der Nähe der Sonne vorbeigehen, doch 1,7 Bogensekunden betragen. Dies müßte sich dadurch äußern, daß die in der Nähe der Sonne erscheinenden Fixsterne, welche bei totalen Sonnenfinsternisssen der Beobachtung zugänglich sind, um diesen Betrag von der Sonne weggerückt erscheinen müssen gegenüber der Lage, die sie für uns am Himmel annehmen, wenn die Sonne an einer anderen Stellen am Himmel steht. Die Prüfung des Zutreffens oder Nichtzutreffens dieser Konsequenz ist eine Aufgabe von höchster Wichtigkeit, deren baldige Lösung wir von den Astronomen erhoffen dürfen.
(Hinweis: Durch englische Forscher wurde die Existenz der von der Theorie geforderten Lichtablenkung bei der Sonnenfinsternis vom 30. 5. 1919 festgestellt.)
Zweitens aber zeigt diese Konsequenz, daß nach der allgemeinen Relativitätstheorie das schon oft erwähnte Gesetz von der Konstanz der Vakuumlichtgeschwindigkeit, das eine der beiden grundlegenden Annahmen der speziellen Relativitätstheorie bildet, keine unbegrenzte Gültigkeit beanspruchen kann. Eine Krümmung der Lichtstrahlen kann nämlich nur dann eintreten, wenn die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichtes mit dem Ort variiert. Man könnte nun denken, daß durch diese Konsequenz die spezielle Relativitätstheorie, und mit ihr die Relativitätstheorie überhaupt, zu Fall gebracht würde. Dies trifft aber in Wahrheit nicht zu. Es läßt sich nur schließen, daß die spezielle Relativitätstheorie kein unbegrenztes Gültigkeitsgebiet beanspruchen kann; ihre Ergebnisse gelten nur insoweit, als man von den Einflüssen der Gravitationsfelder auf die Erscheinungen (z.B. des Lichtes) absehen kann.
... Die so aus dem allgemeinen Relativitätspostulat abgeleitete Gravitationstheorie zeichnet sich nicht nur durch ihre Schönheit aus, sie beseitigt nicht nur den ... Mangel, welcher der klassischen Mechanik anhaftet, sie interpretiert nicht nur das Erfahrungsgesetz von der Gleichheit der trägen und schweren Masse, sondern sie hat auch schon zwei wesensverschiedene Beobachtungsergebnisse der Astronomie erklärt, denen gegenüber die klassische Mechanik versagt. Das zweite dieser Ergebnisse, nämlich die Krümmung der Lichtstrahlen durch das Graviationsfeld der Sonne, haben wir schon erwähnt; das erste betrifft die Bahn des Planeten Merkur.
Spezialisiert man nämlich die Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie auf den Fall, daß die Gravitationsfelder als schwach angesehen werden, und daß alle Massen sich mit Geschwindigkeiten gegen das Koordinatensystem bewegen, welche gegen die Lichtgeschwindigkeit klein sind, so erhält man zunächst die NEWTONsche Theorie als erste Näherung; letztere ergibt sich also hier ohne besondere Annahme, während
NEWTON die dem Quadrat der Distanz aufeinander wirkender Massenpunkte indirekt proportionale Anziehungskraft als Hypothese einführen mußte.
Vergrößert man die Genauigkeit der Rechnung, so treten Abweichungen von der NEWTONschen Theorie auf, die sich allerdings wegen ihrer Kleinheit fast alle noch der Beobachtung entziehen müssen.
Eine dieser Abweichungen müssen wir hier speziell ins Auge fassen. Nach der NEWTONschen Theorie bewegt sich ein Planet um die Sonne in einer Ellipse, welche gegenüber den Fixsternen ihre Lage ewig beibehalten würde, wenn von der Einwirkung der anderen Planeten auf den betrachteten Planeten und von der Eigenbewegung der Fixsterne abgesehen werden könnte. Abgesehen von diesen beiden Einflüssen sollte die Bahn des Planeten eine gegen die Fixsterne feste Ellipse sein, wenn NEWTONS Theorie genau richtig ist. Bei allen Planeten, bis auf den der Sonne nächsten Planeten Merkur, hat sich diese mit eminenter Genauigkeit prüfbare Konsequenz mit der Genauigkeit bestätigt, welche die heute erreichbare Beobachtungsschärfe zu erzielen gestattet. Vom Planeten Merkur aber wissen wir seit LEVERRIER, daß die Ellipse seiner im obigen Sinn korrigierten Bahn gegenüber den Fixsternen nicht fest steht, sondern, wenn auch ungeheuer langsam, in der Ebene der Bahn im Sinne der Umlaufbewegung rotiert. Für diese Rotationsbewegung der Bahnellipse ergab sich ein Betrag von 43 Bogen-Sekunden pro Jahrhundert, welcher Betrag bis auf wenige Bogen-Sekunden sichergestellt ist. Die Erklärung dieser Erscheinung nach der klassischen Mechanik gelingt nur unter Zugrundelegung von ausschließlich ihrethalben ersonnenen, wenig wahrscheinlichen Hypothesen.
Nach der allgemeinen Relativitätstheorie ergibt sich, daß jede Planetenellipse um die Sonne in der oben angegebenen Weise notwendig rotieren muß, daß diese Rotation bei allen Planeten außer Merkur zu klein ist, um bei der heute erzielbaren Beobachtungsgenauigkeit festgestellt zu werden, daß sie aber bei Merkur 434 Bogen-Sekunden pro Jahrhundert betragen muß, genau wie es die Beobachtung ergeben hatte.
Außerdem hat aus der Theorie bisher nur noch eine Konsequenz gezogen werden können, die einer Prüfung durch die Beobachtung zugänglich ist, nämlich eine Spektralverschiebung des von großen Sternen zu uns gesandten Lichtes gegenüber dem auf der Erde in entsprechender Weise (d. h. durch dieselben Molekülart) erzeugten Lichtes. Ich zweifle nicht daran, daß auch diese Konsequenz der Theorie bald ihre Bestätigung finden wird.
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