Phasen und Instanzen der Sozialisation
Sozialisation ist der Prozess sowie das Ergebnis des Hineinwachsens des Menschen in seine soziale Umwelt und deren Werte, Normen und Gebräuche bei gleichzeitiger Herausbildung und Erhaltung einer Individualität des einzelnen Menschen im Sinne der eigenverantwortlichen, kreativen und selbst verwirklichenden Entfaltung des Einzelnen in der Gesellschaft. Im Verlaufe dieses Prozesses kann es zu Spannungen und Konflikten zwischen den sozialen Verhaltenserwartungen der Gesellschaft einerseits und den individuellen Bedürfnispositionen andererseits kommen. Sozialisation ist ein lebenslanger Prozess.
Aufgeschlüsselt hat die Sozialisation drei Bestandteile (nach PETER MÖLLER, Berlin):
- die Gesamtheit aller äußeren Einflüsse, die auf einen heranwachsenden Menschen einwirken, damit auch die Erziehung durch Eltern, Lehrer u. ä., aber auch die Einflüsse
anderer Menschen und Gruppen sowie die allgemeinen Lebensbedingungen in einem bestimmten Kulturkreis, einem bestimmten Volk, einer bestimmten Zeit, einer bestimmten sozialen Schicht und einer ganz spezifischen Familie;
- die innere Verarbeitung dieser Einflüsse durch den Heranwachsenden und damit die Herausbildung einer allgemeinen psychischen Struktur und
- die unter diesen Umständen herausgebildeten Gefühle und Verhaltensweisen des einzelnen Menschen, die im positiven Falle sozial erwünscht sind, aber im negativen Falle auch sozial inakzeptabel oder selbstschädigend sein können.
Der Begriff „Erziehung“ ist nicht identisch mit „Sozialisation“, aber ein Teilbereich von „Sozialisation“.
Die Sozialisation ist also ein sehr wichtiger Faktor, ein sehr wichtiges Ursachengeflecht, das mit darüber entscheidet, was für ein Mensch ein bestimmtes Individuum ist bzw. wird.
Daneben spielen bei der Entwicklung eines Menschen natürlich auch
- die allgemeine menschliche Natur und
- die spezifische Natur, die spezifischen Gene des einzelnen Menschen
eine Rolle. Es werden drei Phasen der Sozialisation unterschieden:
- Primäre Phase,
- Sekundäre Phase,
- Tertiäre Phase.
Sozialisationsinstanzen
Sozialisationsinstanzen sind gesellschaftliche Gruppen oder Gruppierungen, die
- eine vermittelnde Position zwischen Individuum und Gesellschaft einnehmen,
- gesellschaftliche Werte, Normen und Handlungsmuster an den Einzelnen herantragen,
- zentrale Handlungssektoren des Menschen sind,
- nach eigenen Regeln funktionieren und dem Individuum spezifische Anpassungsleistungen abverlangen.
In den drei verschiedenen Sozialisationsphasen haben auch verschiedene Sozialisationsinstanzen eine besondere Bedeutung.
Familie, Vorschulkinder- einrichtungen | Schule, Berufsgruppen, Peergroups, Freizeitgruppen, Massenmedien | Berufsgruppen, Erwachsenenbildungs- gruppen, politische Gruppen, Freizeitgruppen, Massenmedien |
Die Bedeutung der verschiedenen Sozialisationsinstanzen im Rahmen des Sozialisationsprozesses hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. So beeinflussen zum Beispiel heute Freizeitgruppen etwa gleichaltriger Kinder und Jugendlicher (Peergroups) sowie die Massenmedien die Wertvorstellungen und Verhaltensmuster besonders von Heranwachsenden in weitaus größerem Maße als früher. Trotzdem bleibt die Familie die grundlegende Sozialisationsinstanz.
Familie als Sozialisationsinstanz
Familie ist die am häufigsten auftretende Form sozialer Gruppen und die einzige Gruppe, in der mindestens zwei Generationen vertreten sein müssen (Elternteil/e und unmündige/s Kind/er). Die besondere Art der Beziehungen macht die Familie zu einer besonderen Sozialisationsinstanz. Familien stellen ein besonderes Beziehungssystem dar.
Die Familie ist die Primärsozialisationsinstanz und spielt vor allem in der frühkindlichen Sozialisationsphase die entscheidende Rolle. In dieser Phase stellt besonders die Mutter-Kind-Beziehung die Weichen für die Trieb-, Beziehungs- und Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen. Im späteren Kindesalter steht die Kindererziehung durch beide Elternteile mehr im Mittelpunkt. Dabei wird die Entwicklung des Kindes stark durch den jeweiligen Erziehungsstil der Eltern beeinflusst.
Erziehungsstile
Erziehungsstile sind nach D. BAUMRIND, 1989 – LMU München:
Der autoritäre (herrschende) Erziehungsstil
Eltern:
| Kinder: eher feindselig Mädchen: weniger selbstständig |
Der autoritative (der entscheidende) Erziehungsstil
Eltern:
| Kinder: freundlich und kooperativ Mädchen: sehr zielstrebig, leistungsorientiert und durchsetzungsfähig |
Der permissive (freizügige) Erziehungsstil
Eltern:
| Kinder:
|
Der indifferente (gleichgültige, unbestimmte) Erziehungsstil
Eltern:
| Kinder: Zeichen sozialer und emotionaler Vernachlässigung |
Beeinflusst von der gesellschaftlichen Entwicklung hat auch die Familie in den vergangenen Jahrzehnten einen deutlichen Wandel erfahren. Es existieren sogar gesellschaftliche Meinungen, die der Familie ihre Funktion als Primärsozialisationsinstanz in der heutigen Zeit absprechen; andere Sozialisationsinstanzen, wie Peergroups, Massenmedien u. ä. hätten längst einen viel größeren Einfluss als die Familie.
Sicherlich ist die Funktion der Familie als Primärsozialisationsinstanz in der heutigen Zeit deutlich gefährdet. Häufige Überforderung im beruflichen und gesellschaftlichen Leben, die permanent existierende Arbeitslosigkeit von Eltern und die damit zusammenhängende Armutstendenz wirken sich negativ auf Familien aus.
Gesellschaftliches Ziel muss es sein, die Gefährdung in den Familienentwicklungen aufzuhalten. Sozialisationserfolge in den Familien sind und bleiben unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren der Gesellschaft und eine effiziente Wirtschaft.
Die Ausprägung von
- Arbeitsmotivation,
- Verantwortungsbereitschaft,
- Solidarität und
- Zuverlässigkeit
ist zum Beispiel in entscheidendem Maße vom Funktionieren der Familie abhängig.